Die Zukunft der Arbeit: Strategien für eine Welt der Vollbeschäftigung

von Sven Gábor Jánszky

Im Buch „2030“ habe ich beschrieben, was wir Zukunftsforscher heute schon über die Zukunft von Wohnen, Mobilität und Essen, die Zukunft von Liebe, Glück und Urlaub, die Zukunft von Angst, Krankheit und Alter, die Zukunft von Arbeit, Führung und Kollegen, die Zukunft von Lernen, Entscheiden und Kaufen, aber auch die Zukunft von Politik, Religion und Umwelt wissen.

Dabei grenzen wir Zukunftsforscher uns bewusst von unrealistischen Apokalypse-Szenarien und utopistischen Man-müsste-mal-Visionen anderer Autoren ab. Stattdessen verwenden wir die wissenschaftlichen Studien des Zukunftsforschungsinstituts 2b AHEAD ThinkTank.

Eine große Rolle spielen dabei die gesellschaftlichen und ethischen Fragen. Aus diesem Grund lesen Sie hier das erste von zwei Kapiteln zur Zukunft der Arbeit aus dem Buch „2030 – Wie viel Mensch verträgt die Zukunft?“.

Kapitel 1

Wir Zukunftsforscher ­beschäftigen uns mit vielen Bereichen, vom Essen über Mobilität bis zur Ethik der Zukunft. Aber zu keinem Thema werde ich so oft zu Vorträgen ein­geladen wie zur Zukunft der Arbeit. Natürlich! In den Zeiten der Massenarbeitslosigkeit sind für die meisten Menschen die acht Stunden Lohn­arbeit am Tag zum wichtigsten Faktor ihrer Identität geworden.

Doch wie geht das weiter? Welche Rolle spielt die Arbeit in Zeiten von Vollbeschäftigung? Was geschieht, wenn große Teile unserer bisherigen Arbeit von Maschinen übernommen werden können? Und wieso schaut ein Zukunftsforscher so optimistisch in die Zukunft der Arbeit, obwohl in den Zeitungen von Konjunkturkrisen und Rezession geschrieben wird? Die Antworten finden Sie in dieser Trendanalyse.

Demografische Entwicklung und digitale Revolution

Zwei Schlagzeilen bestimmen gegenwärtig die Diskussion um die Entwicklung von Arbeitsmarkt und Beschäftigung. Und beide sind in starkem Maße angstgesteuert.
Auf der einen Seite überschlagen sich die Medien mit Horrormeldungen zum Verlust von Arbeitsplätzen und mittelfristig drohender Massenarbeitslosigkeit durch die digitale Revolution. Eine Vielzahl von Studien prophezeit Arbeitsplatzverluste von 50 Prozent und mehr oder wird zumindest in diesem Sinne interpretiert. Die viel differenziertere Argumentation der Autoren geht dabei zumeist unter.1 Andere Gutachter geben eher Entwarnung. Sie betonen die mit der Digitalisierung verbundenen Chancen, die zur Befreiung der Menschen von unangenehmen Arbeitsaufgaben, zur Entstehung neuer Tätigkeiten und zur Verbesserung der Wettbewerbs­fähigkeit Deutschlands in einer globa­lisierten Welt führen.

2) Das alles geschieht im Bewusstsein der Unsicherheiten, die sich aus disruptiven Technologieentwicklungen und generell aus der exponentiellen Zunahme der Geschwindigkeit des Fortschritts ableiten lassen.

Diesen Klagen steht die aktuelle Diskussion um den Fachkräftemangel gegenüber. Vor einigen Jahren galt dieser noch als ein Expertenthema, das sogar manchmal als Panikmache belächelt wurde. Inzwischen hat der Fachkräftemangel ganz real eine Reihe von Branchen erreicht. Das Handwerk ist genauso betroffen wie die Altenpflege oder die Verfügbarkeit einer ausreichenden Zahl von Polizisten und Lehrern. Die Arbeitsagenturen dokumentieren diese Zuspitzung mit der Verlängerung der Vakanzzeiten bei der Besetzung freier Stellen und dem Zurückgehen der Zahl arbeits­loser Bewerber pro freier Stelle.

Kein Zweifel, der Fachkräftemangel ist mittlerweile zumindest in einer Vielzahl von sogenannten Engpassberufen real. Auch hierzu versuchen Wissenschaftler in Studien abzuschätzen, wie sich Angebot und Nachfrage in verschiedenen Berufsgruppen und Branchen verhalten. Thematisch sind diese Untersuchungen eng mit den oben genannten Studien zu den Folgen der Digitalisierung verbunden. Sie stehen daher vor den gleichen methodischen Problemen: Die Wissenschaftler können zwar relativ gut vorher­sagen, welche Arbeitskräfte zukünftig vorhanden sein werden. Schließlich sind sie mit Ausnahme der Zuwanderer ja auch schon im Land. Was bleibt, sind die Unsicherheit durch disruptive technologische Entwicklungen sowie die Frage, für welche Ausbildungen und Tätigkeiten sich die Menschen wirklich entscheiden. Studien aus dem Jahr 2016 kommen unter Berücksichtigung der Zuwanderung zu dem Ergebnis, dass 2035 genügend hoch qualifizierte Hochschulabsolventen auf dem Arbeitsmarkt präsent sein werden. Fehlen werden hingegen Facharbeiter mit mittlerer Qualifikation.

3) Allerdings könnte auch diese Pro­gnose hinfällig werden, wenn in größerem Maße als bisher erwartet fachlich ausgerichtete Tätigkeiten durch die digitale Revolution entfallen. Spezielle Untersuchungen zur Digitalisierung führen nämlich zu dem Ergebnis, dass positive Beschäftigungseffekte für hochkomplexe Expertentätigkeiten in technologieaffinen Betrieben der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) entstehen werden. Ähnliches gilt auch für bisher nicht wissensintensive Dienstleistungen. Verluste ergeben sich am ehesten für Beschäftigte, die Helfertätigkeiten im Bereich der nicht wissensintensiven Dienstleistungen ausüben.

4) Das alles ist aber noch keine wirklich befriedigende Antwort auf die Frage, wie der Fachkräftemangel entsteht und wie er sich weiterentwickeln wird. An dieser Stelle kommt die Demografie ins Spiel. Es ist das schrittweise Ausscheiden der Generation der Babyboomer, das den Arbeitsmarkt auf den Kopf stellen wird. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte in fast allen industria­lisierten Ländern ein gigantischer Babyboom ein. Er reichte von den USA über Europa bis nach Japan. In Deutschland begann er erst einige Jahre später als beispielsweise in den USA, aber die Auswirkung war die gleiche: Niemals zuvor und schon gar nicht danach wurden in Deutschland so viele Kinder geboren wie in dem Zeitraum von Mitte der 1950er- bis Mitte der 1970er-Jahre. Den Höhepunkt markierte dabei das Jahr 1964, das als das geburtenstärkste Jahr in der Geschichte Deutschlands gilt. 1.357.304 Geburten standen etwas mehr als 900.000 Sterbefälle gegenüber.5 Im Jahr 2000 waren es noch etwa 780.000 Geburten.»

Zwar ersetzt nicht ein Jahrgang einfach so den anderen, aber das Missverhältnis ist schon auffallend. Bis etwa 2035 werden die Babyboomer schrittweise aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Da deutlich weniger Junge hinzukommen, verringert sich trotz erhöhter Zuwanderung die absolute Zahl der Erwerbspersonen. Eine Studie aus dem Jahr 2016 kam zu folgenden Ergebnissen: Die Bevölkerung wächst durch die verstärkte Zuwanderung entgegen früheren Prognosen von 2014 bis 2030 um 690.000 Personen. Allerdings sinkt durch den Ausstieg der Babyboomer die Zahl der Erwerbspersonen trotzdem um 720.000.

Die Beschäftigung bleibt insgesamt relativ stabil und verringert sich lediglich um 20.000. Reduzieren wird sich auch die Zahl der Erwerbslosen, die um insgesamt 700.000 Personen zurückgehen wird. Die Fachkräfteengpässe fallen im Vergleich zu früheren Prognosen etwas größer aus, wobei sich Ungleichgewichte im Verlauf des Prognosezeitraums verringern werden. Erwartet werden ein deutlicher Anstieg bei den hoch qualifizierten Arbeitskräften, ein starker Rückgang bei den gering Qualifizierten und ein leichter Rückgang im mittleren Qualifikations­bereich.6 Nach 2030 normalisiert sich das Verhältnis zwischen Zu- und Abgängen am Arbeitsmarkt wieder. Große Unterschiede gibt es dabei zwischen den einzelnen Regionen in Deutschland. Im Osten sinkt die Zahl der Erwerbspersonen deutlich, in Bayern und Baden-Württemberg steigt sie im gleichen Zeitraum an.

Digitalisierung als Voraussetzung für das Funktionieren der Gesellschaft

Vor diesem Hintergrund kann Folgendes geschlussfolgert werden: Bis etwa 2030 oder 2035 werden die Arbeitsplatzeffekte der Digitalisierung schon allein dafür benötigt, um den Verlust an qualifizierten Erwerbspersonen auszugleichen. Ohne Digitalisierung und Automatisierung könnten viele Wirtschaftszweige so tief in die Fachkräftefalle geraten, dass lebenswichtige Dienstleistungen nicht mehr verfügbar und Produktionsstandorte nicht mehr zu halten wären.
Welche Bereiche der Arbeitswelt am schnellsten digitalisiert werden, hängt heute und zukünftig von mehreren Faktoren ab. Das sind zunächst einmal ökonomische Aspekte. Insbesondere die Tech-Giganten im Silicon Valley greifen vor allem solche Themen auf, mit denen sie nicht Tausende oder Hunderttausende, sondern Millionen oder Milliarden von Menschen erreichen. Think big, lautet die Devise.
Der zweite Faktor ist die Technologie. Wie bereits mehrfach beschrieben, ist hier die Entwicklungsdynamik kaum zu überschätzen. Der dritte, bisher zu wenig beachtete Faktor ist die Demografie. Wenn die Zahl der Erwerbstätigen zurückgeht, muss Ersatz geschaffen werden für fehlendes Personal.
Die geringste Beachtung findet der vierte und letzte Faktor: die Berufswünsche und angestrebten Tätigkeiten der Menschen. Ökonomische Verteilungsmechanismen von Arbeitskräften funktionieren nur so lange, wie die …

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