Liebe Leser, in dieser Kolumne kommen Sie zu Wort. Schreiben Sie Viktor, er wird auch niemanden verraten. Großes Ehrenwuff!

Viktor

#mal wer anderes sein

Wenn das Leben nach Normalo aussieht, dein Zeitvertrag ausläuft und das Konto überzogen ist oder du einfach nur mies drauf bist, dann hast du keine Chance in den sozialen Medien. Wer will schon Anteil an einem öden Dasein nehmen? Keiner hat Bock auf dein Blog. All dieses Negative: Das haben die anderen wahrlich genug in ihrem Alltag, wozu also noch eine Extraportion?

Dann lieber ein geiles, aufregendes Dasein auf Instagram. Da, wo sich die Reichen und Doofen tummeln. Wo man immer auf der Sonnenseite des Lebens steht und nervige Begriffe wie Jobagentur, explodierende Mieten oder den Termin zur Darmspiegelung hinter sich lässt. Will doch eh niemand wissen. Angeblich, so wird behauptet, sind ja ausschließlich Egomanen dort unterwegs, die sich für absurde Marken einsetzen. Mit einem Podcast über vierblättrige, saugfähige Haushaltsrollen und ein paar Selfies am Strand bist du Influencer und kannst noch eine bisschen Kohle machen. Da haben die ewigen Kritiker schon recht, gleichwohl kann Instagram für uns Normalos schon hilfreich sein. Man kann so ein tolles, aufregendes Leben mit ein paar Tricks vortäuschen.

Aussagekräftige Bilder sagen mehr als langweilige Entschuldigungen. Aber Vorsicht, auf diese Dinge solltest du unbedingt achten: Mach nie Selfies zu Hause. Essensreste, Selfies nach durchzechter Nacht, alte Kontoauszüge oder der kleine Balkon mit den vertrockneten Blumenkästen: geht überhaupt nicht. Nie die Realität zeigen. Also gleich ins schwedische Möbelhaus und geile Selfies im superschicken Beispielzimmer machen. Nimm ein paar persönliche Sachen wie Urlaubsbilder mit oder leih dir das neueste iPhone von einem Kumpel, das wirkt immer. Stell eine Flasche Aroniabeere und einen Latte macchiato auf den kleinen Tisch. Kein Mensch wird vermuten, dass du noch Fleisch isst.

Und ganz Schlaue nehmen ihren Kater heimlich in der Tasche mit und setzen ihn mal kurz auf der Sitzgruppe in Szene. Aber bitte keinen schwarzen, kommt nicht gut. Schön getigert soll er schon sein. Und dann ab ins Photoshop-Programm. Gib Pickeln und Pusteln keine Chance, nutz die Schönheits-OP zum ­Nulltarif. Du hast auch alle Möglichkeiten, unliebsame Menschen wie Ex-Partner oder Gegenstände wie Schnapsflaschen oder Zigaretten einfach zu löschen. Oder sich selbst ausschneiden und vor geilen Hintergründen platzieren, als hättest du die halbe Welt gesehen.

Nur Mut, alles muss, nichts kann. Gute Klamotten sind ja so wichtig. Im Netz bestellen, Selfieserie schießen und ab zur Retoure. Leih dir den süßen Hund vom Nachbarn, das zeigt allen deine Tierliebe; und ab mit dem Kleinen in den Park zum Joggen. Denn Fitness ist das neue Saufen. Cool vor der Muckibude oder auf dem Hometrainer in der Sportabteilung von Sport Scheck. Merkt keiner. Immer schön sportlich wirken. Da hat der Instagramer den Eindruck, du hast dein Leben trotz Jogginghose richtig gut im Griff.

Und keinen zutexten. Höchstens mal einen Hashtag, das reicht allemal. Bilder mit Hund im Park beim Joggen nicht lange kommentieren, maximal mit #dankepersonaltrainer untertiteln. Und dann hast du Tausende von Likes, alle finden dich supertoll, und du gehörst endlich auch zu den Schönen und Doofen. Ob sich aber dein Leben ändert, weiß ich nicht.

Aber wenn es dir guttut, mach’s doch!
#nichts für ungut

Euer Viktor