Liebe Leser, in dieser Kolumne kommen Sie zu Wort. Schreiben Sie Viktor, er wird auch niemanden verraten. Großes Ehrenwuff!

Viktor

Mönsch Aldi!

Für diesen Zwischenruf von Slow Food Deutschland e. V. hat Viktor ausnahmsweise einmal auf seine Kolumne verzichtet. Slow Food Deutschland e. V. positioniert sich klar gegen die neue Aldi-Werbekampagne „Einfach ist mehr“

Der Lebensmitteldiscounter Aldi macht zum ersten Mal seit seinem Bestehen Fernsehwerbung. Sie ist Teil einer umfangreichen Kampagne, für die eigens ein Berliner Rapper engagiert wurde. Kernbotschaft: „Das Leben kann so einfach sein.“ Aldi befreit dich von der Komplexität des Alltags, sucht die besten Lebensmittel für dich aus und entscheidet so, was gut für dich ist. Gegen „nutzlose geschmackliche Vielfalt“ die einfachen Aldi-Artikel?

Mönsch Aldi!

Ach Aldi! Jetzt bist Du doch richtig groß geworden, auch ohne die blöde Fernsehwerbung. Du bist sogar steinreich geworden – nur mit billig, billig, billig und einfach die Paletten hinstellen, und die Leute sollen sich ihr Zeug doch selbst grapschen. Wozu schöne Läden, wozu faire Preise für die Erzeuger, wozu hochwertige Lebensmittel, wozu eigentlich Personal? Du hattest das alles nicht nötig, Du warst ganz souverän das hässliche Entlein in der Lebensmittelkette, Du wolltest nie mehr sein als DER superbillige Billigheimer schlechthin. Und jetzt? Fernsehwerbung? Radiowerbung? Kinospots? Brauchst Du das wirklich, Aldi? Du willst irgendwie jünger und schicker werden, müssen wir im „Spiegel“ lesen.

Du engagierst schwerst schokoladen­beschmierte Kinder mit schlecht geputzter Nase, die pausenlos den von Erwachsenen aufgeschriebenen Quatsch nachplappern? Mönsch Aldi, Du enttäuschst uns, ehrlich. Du willst nicht mehr nur billig, billig, billig, Du willst jetzt „hip“ sein? Hast Du was Falsches gegessen, Dich – Gott bewahre! – vielleicht irrtümlich am eigenen Regal bedient?
Ach Aldi! Du holst schlecht angezogene Straßenmusiker mit verkehrt herum aufgesetzter Kappe, die sich auf selbst gebaute Holzbänke vor gemeinschaftlich organisierten Gemüsegärten setzen – und dabei über „nutzlose Vielfalt“ jammern? Aldi, also wirklich, da müssen wir beinahe dem „Stern“ recht geben: „Ganz schön hohl“ und „dämlich“. Aldi, hör mal, es tut uns wirklich sehr, sehr leid, dass Du Dir den Kopf an den Grenzen des Billigbooms gestoßen hast. Ehrlich jetzt. Offene Wunde und kein Pflaster zur Hand! Du seist einfach am Wachstumslimit angekommen, ­behaupten böse Zungen. Die Supermärkte machen Dir mit ihrem Vollsortiment und hochwertigeren Lebensmitteln das Leben schwer, die reine Pest.

Jetzt keine Panik, Aldi! Lass Dir deswegen bloß keine krummen Eier wachsen. Du musst wieder Deine eigene Mitte finden. Und vor allem: Stampf erst einmal ganz schnell Deine Werbung ein. „Wir brauchen keine zehn Zitronensorten, wir brauchen nur Zitronen.“ Geht’s noch, Aldi? Ist das Deine Idee von der Mission Markenauffrischung? Einfalt statt Vielfalt? Langeweile auf dem Teller statt Fusion Street Food? Und bloß keine Auswahl? Mein lieber Aldi, da werden Dir die hippen, jungen Massen aber die Bude einrennen …

Und jetzt wird’s richtig furchtbar, Aldi. Du trötest herum, dass es bei Dir auch garantiert keine „rechtsdrehende Pasta aus dem Himalaja“ gebe. Sondern einfach nur Spaghetti. Aldi, das macht uns jetzt wirklich fertig. Da ziehen ganz dunkle Wolken herauf, und da weinen wir alle bitterlich, wenn wir das lesen. Keine rechtsdrehende Himalaja-Pasta? Und auch keine linksdrehende aus Dinkelwachteleierkompott? Es reicht, Aldi, es reicht jetzt wirklich!

Aldi, sag mal, Du schreibst, dass Du Dich „stets nach den Wünschen der Kundschaft“ richtest. Das ist gut, Aldi, das ist sehr gut. Ich kaufe mir jetzt für 0,99 Euronen ein Fläschchen Spitzenwein bei Dir. Dann bin ich nämlich Dein Kunde, Aldi. Und dann wünsche ich mir, dass Du Deine Werbeagenturfuzzis sofort bei Wasser, Spaghetti und Aldi-Zitronen in Deinen Warenkeller sperrst und erst wieder hinauslässt, wenn ihre Phrasendiarrhöe abgeklungen und vollkommen ausgeheilt ist. Versprochen? So machst Du es, ja? Danke, Aldi, danke!

Quelle: Zwischenruf Slow Food Deutschland e. V.
Berlin, Oktober 2016