Liebe Leser, in dieser Kolumne kommen Sie zu Wort. Schreiben Sie Viktor, er wird auch niemanden verraten. Großes Ehrenwuff!

Viktor

Berat Buluts verbale Note

Mein türkischer Lebensmittelhändler Berat Bulut ist kein glühender Verehrer von Erdogan. Im Gegenteil: Er lebt gerne in Deutschland, schätzt die Demokratie und die Freiheit, dass er und seine Familie hier leben können, und wünscht sich das auch für sein Heimatland. Er besucht seine Moschee, wann er will. Die Aufforderung „mindestens drei Kinder pro Familie“ oder das Verbieten von Händchenhalten in der Öffentlichkeit, das Erdogan anstrebt, findet er grotesk. Dass die Meinungs- und Pressefreiheit unterdrückt und Oppositionelle reihenweise verhaftet werden, macht ihn wütend. Auch der Umgang mit den Kurden und dass die Welt einfach zuschaut, ist für ihn ein grausamer Zustand.

Er unterhält sich oft mit seinen Landsleuten, und viele bezeichnen Erdogans Politik als undenkbar und gefährlich. Und wenn Comedians und Satire sich mit der türkischen Politik auseinandersetzen, findet er das gut, denn Politiker machten da viel zu wenig, meint er.

Aber das Schmähgedicht von Jan Böhmermann war ihm einige Nummern zu heftig. Man kann den Präsidenten mögen oder nicht, aber was er da gesehen und gehört hat, geht nicht. Eine verbale Attacke auf Türken generell. Mein Gemüsehändler hält das Gedicht für rassistisch. Vollgepfropft mit Beleidigungen und Vorurteilen gegen Türken. Und das ist sein Problem mit der Schmähkritik. Jahrzehntelange Ressentiments gegen Türken werden hier zusammengereimt. Der Text befeuert, was in den Köpfen schon längst verankert ist: das Klischee vom zoophilen, nach Knoblauch stinkenden Türken. Und Türke wird zum Codewort für Muslim.

Das Gedicht, meint mein Lebensmittelhändler, setze sich nicht mit ernsthafter Kritik an Erdogans Politik ausein­ander, sondern spiegele den erlebten Alltag deutsch-türkischer Bürger wider.

Berat geht es um Verständnis dafür, was Worte auslösen können. Er habe noch die Schmähbilder von Merkel oder Schäuble als Nazis im Kopf, mit denen wir aus Südeuropa konfrontiert wurden. Plakate mit Merkel in SS-Uniform und mit Hitlerbärtchen; Schäuble wurde als KZ-Kommandant karikiert. Die inkriminierte Karikatur sollte zeigen, dass die Politik der Merkel-Regierung auf nicht weniger als die Vernichtung der Griechen abziele.

So etwas gehe nicht, meint Berat. Den Protesten fehle der Anstand, und wir müssten aufpassen, dass aus politischer Satire keine satirische Agitation werde.

Und da hat er nicht ganz unrecht.

Viktor