Liebe Leser, in dieser Kolumne kommen Sie zu Wort. Schreiben Sie Viktor, er wird auch niemanden verraten. Großes Ehrenwuff!

Viktor

Herr Richter, ich war’s nicht

„Die spinnen, die Amis“, rief Frauchen neulich am Frühstückstisch – ein Ausruf, der mich nicht wirklich überraschte, geben doch die Menschen jenseits des Großen Teichs immer mal wieder Grund zum Kopfschütteln.

Aber diesmal schien es besonders merkwürdig zu sein, denn Frauchen war kaum zu beruhigen. Und schon legte es los und erzählte: „Stell dir vor, da sitzen fünf Strafgefangene in Idaho, die gerne eine Million Dollar hätten. Deshalb verklagen sie jetzt unter anderen die großen amerikanischen Brauer. Ihre Beweiskette ist relativ simpel: Keiner habe sie gewarnt, dass Alkohol abhängig mache. Deshalb hätten sie Alkohol getrunken und seien abhängig geworden. Und in diesem Zustand hätten sie Dinge getan, die sie ohne die Abhängigkeit angeblich niemals gemacht hätten. Ohne den Alkohol aber hätten sie ein normales Leben als produktive Mitglieder der Gesellschaft führen können.“
Schade, dass den fünfen das nicht schon im Gerichtssaal eingefallen war. Der Richter wäre wahrscheinlich entzückt gewesen, wenn einer erklärt hätte: „Herr Richter, ich war’s nicht. Es war der Alkohol!“
Tolle Idee! In Deutschland hat es ein paar ähnliche Versuche gegeben. So verklagte ein Richter (!) einen Süßwarenhersteller, weil niemand ihm gesagt habe, dass man von zu viel Süßigkeiten zunehmen könne. Ein Arbeiter verklagte eine Brauerei, weil auch ihm niemand gesagt hatte, dass man von Alkohol, wenn er denn im Übermaß getrunken werde, abhängig werden könne. Aber warum verklagt eigentlich niemand einen PC-Hersteller, weil man vom Spielen im Internet abhängig werden kann? Warum verklagt niemand einen Arzneimittelhersteller, weil man natürlich auch von Arzneimitteln abhängig werden kann?
Wovor wollen wir eigentlich in Deutschland die Menschen noch alles warnen? Zu viele Süßigkeiten machen dick, zu viel Popcorn auch. Zigaretten sind vom Übel, und weil das natürlich niemand weiß, muss man davor großflächig warnen. Wahrscheinlich ist auch unmäßiges Achterbahnfahren gefährlich, übertriebenes Squash­spielen oder maßloses Brüllen. Irgendwann ist unsere Landschaft übersät mit Warntafeln – und gleichzeitig propagiert die Politik den mündigen Verbraucher.
Bei Hunden ist das anders. An und für sich ist das auch gut so, aber irgendwie ist es auch blöd, denn so bin ich für alles selbst verantwortlich und kann die Schuld auf keinen anderen schieben.
Euer Viktor