Schleichende Wandel in den Weinbergen

von Mario Scheuermann

So mancher kann das Wort vom Klimawandel inzwischen nicht mehr hören. Erst wollte man ihn nicht wahrhaben, dann wurde der Begriff arg strapaziert und musste für alles und jedes herhalten. Inzwischen ist er längst da, und wir beginnen, uns daran zu gewöhnen, denn noch sind die uns im täglichen Leben betreffenden Auswirkungen überwiegend positiv. Brennende Wälder, Dürrekatastrophen und Überschwemmungen, das findet meist anderswo und weit entfernt statt.
Dabei sollte sich die Weinwirtschaft in Deutschland darauf vorbereiten, dass die positiven wie auch die negativen Folgen der globalen Erwärmung schneller Realität werden, als wir es noch vor wenigen Jahren für möglich gehalten haben. Die Entwicklung in den Weinbergen jedenfalls eilt derzeit dem Markt bereits voraus. Und so mancher langfristige Marketingplan könnte in den nächsten Jahrzehnten so zu Makulatur werden. Das mühsam erworbene und beworbene Image wäre dann wertlos.
Nehmen wir als Beispiel die mit 3.125 Hektar Rebfläche und einem eher engen Sortenspiegel überschaubare Region des Rheingaus. Dort kann man wie in einem Laborversuch derzeit den sich langsam vollziehenden Wandel beobachten.
Zwischen Lorch und Hochheim hat sich in den letzten zehn Jahren der Rieslinganteil von 80,65 Prozent (1997) auf heute 78,87 Prozent verringert, und zwar zugunsten des roten Spätburgunders, der heute 12,17 Prozent der bestockten Rebfläche ausmacht gegenüber 10,04 Prozent im Jahr 1997. Kein dramatischer Wandel, aber gleichzeitig hat ein anderer schleichender Prozess begonnen. Ich meine das Einwandern von Reben, die eher zum Sortenspektrum von Ländern in Europas Mitte oder Süden gehören.
Neben den drei Burgundersorten Chardonnay, Pinot blanc und Pinot gris sind dies vor allem der Sauvignon blanc, aber auch der Grüne Veltliner oder seit Jüngstem der Muskateller. Bei den roten Sorten gibt es die ersten Anlagen mit Merlot und Cabernet Sauvignon. Es gibt zudem Experimente mit historischen Sorten wie Orleans und Heunisch (Georg Breuer in Rüdesheim).
Diese Sorten gab es vor zehn Jahren im Rheingau nicht. Heute haben sie einen Anteil von drei bis vier Prozent und haben damit zwei andere einheimische Sorten fast völlig verdrängt, und nämlich den Kerner und den Müller Thurgau, der 1997 noch vier Prozent ausmachte und heute bei nur noch 1,55 Prozent steht.
Während es beim Muskateller (Mohr in Lorch) und Grünen Veltliner (Kögler in Eltville) nur jeweils einen Erzeuger gibt, ist es beim Sauvignon blanc schon ein gutes Dutzend, und es gibt bereits Betriebe, bei denen der Anteil des Weißburgunders an der Rebfläche bei zehn Prozent liegt.
Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis die heutige Rieslinghochburg Rheingau ihr Gesicht verändern wird. Es wird mehr Rotwein geben und weniger Riesling, und langfristig werden die Sorten, die heute in Burgund, an der Donau und an der Loire heimisch sind, hier eine neue Heimat finden, wenn es ihnen dort zu heiß geworden sein wird. Und der Rheingauer Riesling? Den wird es natürlich weiter geben, aber er wird seinen Charakter verändern: Er wird alkoholreicher sein, ähnlich seinen heutigen Vettern aus der Pfalz und dem Elsass.