„Der Kultivierte bedauert nie Genuss. – Der Unkultivierte weiß überhaupt nicht, was Genuss ist.“ Oskar Wilde

Keine andere Getränkegattung stand in den vergangenen Jahren so unter Druck wie die Spirituosen. In einem schwierigen, heiß umkämpften Markt, im Zuge eines fortschreitenden Gesundheitsbewusstseins zu Lasten alkoholischer Getränke sind die Spirituosen meist das Feindbild Nummer Eins der oft populistisch auftretenden Anti-Alkohol-Lobby aus Politik und Gesellschaft.

In Zeiten dauernden Streits um die Gefahren des Alkohols, verschärfte Jugendschutzgesetze und das Rauchverbot in Gaststätten fühlen sich Spirituosenhersteller und -händler oft in die Nähe von Drogenbaronen gerückt.
Allerdings gibt es im Zeichen allgemeinen Regelungs-Wahns oft das so genannte „Brüssel-Problem“ – und dies schon seit dem Vorläufermodell der heutigen Europäischen Union, welches sich in den 80er Jahren noch Europäische Gemeinschaft nannte. Gesundheit und Genuss stehen in einer synergetischen Beziehung zueinander und dieses gilt auch für den Alkoholkonsum.
Mit den Worten des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forst a. D. und 1. Spirituosenbotschafters Karl-Heinz Funke umschrieben: „Der Genuss von Alkohol – natürlich in Maßen – fördert auch das Denken und die Kommunikation im assoziativen Sinne.“ Verbraucher können denken und eigenständig handeln, auch wenn die Politik diesen Fakt zu ignorieren scheint. Die Politik reagiert auf den mündigen Bürger mit Verboten und Beschränkungen, oftmals ohne reale Ergebnisse! Eine mündige Gesellschaft braucht Regeln, aber keinesfalls eine Regelungsversessenheit als Beschäftigungsmaßnahme für die unterschiedlichsten Arbeitsausschüsse. Zweifelsfrei zählt Alkohol zu den „riskanten“ Substanzen im Leben, wie vieles andere ebenso. Seitens der Politik werden fast ausschließlich problemorientierte Diskussionen angeschoben und Studien über die negativen Folgen eines übermäßigen Alkoholkonsums herausgegeben. Anstatt eine Sensibilisierung dieser Thematik und Risiken hier zu Lande zu forcieren. Denn das Problem ist nicht die Verfügbarkeit von Alkohol, sondern Deutschland hat ein großes gesellschaftliches Problem.
Für die Spirituosenunternehmen, sei es Hersteller oder Importeure, gilt ohne Zweifel: „Nicht staatliche Reglementierung, sondern Förderung von Eigenverantwortung und Risikokompetenz müssen im Zentrum des politischen Handelns stehen.“ Die bereits existierenden Regelungen sind ausreichend, Vieles sogar überreguliert. In einer Masterarbeit zum Thema „Genuss und Gesundheit“ war beispielsweise zu Lesen: „Welcher Fahrschüler lernt schon das Autofahren, wenn ihm nur Unfallbilder gezeigt werden?“

Kulturgut

Ausgerechnet die heute in solchen Fragen oft so widerspenstigen Araber sollen im 9. Jahrhundert die Kunst des Destillierens und auch das Wort „Alkohol“ (zunächst angeblich nur als Medizin und Wunderwaffe gegen die Pest) erfunden haben – es bedeutet soviel wie „etwas Gutes, Klares, besonders Feines“ (dies kann man auch in heutiger Zeit nicht oft genug wiederholen).
Der erste Branntweinhandel wird den Italienern in Modena zugeschrieben, die als beste Kunden – deutsche – Bergleute zählten, die mit dem „gebrannten Wasser“ ihre staubigen Kehlen spülten.
Schon von jeher hat Vater Staat die Hand aufgehalten, wenn es um Alkohol ging. Die ersten Kornbrenner durften hier zu Lande beispielsweise schon im Jahre 1506 ihren Kornbranntwein nicht selbst verkaufen, sondern mussten ihn im Rathaus abliefern, wo er mit einem kräftigen Aufschlag „von Amts wegen an die Durstigen gebracht wurde“ (dgw 9/87). Vermutlich gibt es schon seit mindestens jener Zeit den Spruch: „Trink, was klar ist, iss’, was gar ist, sag’, was wahr ist!“ Seitdem gilt: wer Korn oder andere Spirituosen zu sich nimmt, ist nie allein, Vater Staat trinkt an jeder Flasche einen ordentlichen Schluck mit.
Und trotz Branntweinsteuererhöhungen in den Jahren 1972, 1977, 1981 und 1982 ging die Absatzentwicklung bei einigen bundesweit distribuierten (Korn-) Marken stetig nach oben.
Jedoch gab es ab dem Gründungsjahr der deutschen getränke wirtschaft – 1983 – tatsächlich seitens der Bundesregierung Bestrebungen, das Branntweinmonopol (nicht etwa die Steuer) aufzuheben. Dieses kostete den deutschen Steuerzahler zunehmend Geld, da die günstigen Alkoholimporte aus den anderen EG- und sonstigen Staaten in den Vorjahren sprunghaft angestiegen waren. 1983 beliefen sich die Subventionen als Kehrseite der sprudelnden Steuereinnahmen für das deutsche Branntweinmonopol bereits auf rund 250 Millionen Mark.

Bonner Steuerabenteuer…

Ein Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums rechnete 1984 vor, dass jeder Hektoliter Alkohol den deutschen Steuerzahler über 200 Mark koste. In Baden-Württemberg fürchteten kleine Erzeuger und Familienbetriebe um ihre Existenz und wandten sich gegen die Absicht der Regierung, das Branntweinmonopol aufzuheben.
Sie fürchteten eine Überschwemmung des Alkoholmarktes durch andere Länder – zu Lasten vor allem der heimischen Edelbranntweine. Dennoch – die Fronten im Spirituosenmarkt der 80er Jahre waren in Sachen Verbrauchersicht relativ klar.
Laut einer Umfrage gaben 23 Prozent der erwachsenen Bevölkerung an, ihr liebstes alkoholisches Getränk sei Korn, direkt gefolgt von Weinbrand. Ebenso erfreuten sich Liköre großer Beliebtheit – von denen es schon damals hunderte gab. Allerdings hatte der Staat mit der letzten Branntweinsteuererhöhung im Jahr 1982 wieder einmal so kräftig hingelangt, dass in einem damals schon rückläufigen Spirituosenmarkt eine ganze Branche „an den Rand der Existenzfähigkeit“ gebracht wurde, wie seinerzeit oft beklagt (dgw 8/9/84).
Ein Kessel Buntes …

Dies bekam unter anderem die damalige Doornkaat AG, Norden, zu spüren, die zwei Jahre in Folge (1982 und 1983) zwölf Millionen Stammaktien leer ausgehen lassen musste und nur deshalb nicht ins Schleudern gekommen war, weil sie noch einen Gewinn aus dem Verkauf von Anlagevermögen und Zinserträgen verzeichnen konnte – ein weiteres Kapitel des „Bonner Steuer-Abenteuers“, wie seinerzeit in der dgw zu lesen war. Aber: im Gegensatz zu anderen Getränkebranchen, war die Spirituosenindustrie schon in den frühen 80er Jahren sehr kreativ, wenn es um exotische Früchte und neue Mischungen ging. So brachte die Lucas Bols GmbH schon 1984 den Fruchtaromalikör Kiwi-Wonder auf den Markt – eine Hommage an die zunehmende Kiwi-Beliebtheit bei den Deutschen. Schließlich schickte sich der Longdrink-Markt an, eines der größten Wachstumssegmente des Spirituosenmarktes zu werden, wie auch schon beispielsweise der Erfolg von Blue Curaçao (unter jungen – vor allem weiblichen – Erwachsenen damals der absolute Renner, wie sich ein heute gereifter dgw-Autor erinnert) oder Grüne Banane gezeigt hatte.
Dies führte zu heute kaum noch bekannten Klassikern wie „Blauer Engel“ oder „Blue Angel“ (Blue Curaçao mit Sekt) oder des zumindest in Westfalen so genannten Ablegers „Grüne Minna“ (dasselbe, statt Sekt aber mit Orangensaft und einem Schuss Batida, was den Drink statt blau grün färbte) – sehr beliebt bei sich damals schon um irgendwelche Alkoholdebatten einen Teufel scherenden Gymnasiasten.
Schließlich galt es getreu dem Motto von Wilhelm Buschs „Frommer Helene“ von Alters her: „Wer Sorgen hat, hat auch Likör!“ Und wer keine Sorgen hatte, hatte ihn auch, schließlich waren diese Getränke vor allem mit Spaß, Szene und Geselligkeit verbunden. Vor allem auch als Basis für Mischgetränke waren neue Liköre zum In-Drink einer jungen Aufsteigergeneration geworden – je bunter desto besser – da befanden sich die klassischen Früchte wie Kirsche oder Bitterorange bereits im Sinkflug. Und Cocktails wurden wieder entdeckt. Den Boden der neuen Soft-Welle hatten Apfelkorn, Creamliköre und Tropics bereitet. Ansonsten war…

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