Liebe Leser, in dieser Kolumne kommen Sie zu Wort. Schreiben Sie Viktor, er wird auch niemanden verraten. Großes Ehrenwuff!

Viktor

Dann doch lieber kein Vorbild…

Neulich habe ich ein Buch gelesen. Eigentlich mag ich diese Beratungsliteratur ja nicht. „Zen für Manager“, „Geschäftsführer-Trekking mit Reinhold M.“, „Teambuilding mit XY“. Aber das, was ich da gefunden habe, in meiner kleinen Buchhandlung, das war einfach, das war klar, unspektakulär. Ordensregeln von einem gewissen Benedikt von Nursia, fast 1500 Jahre alt, für Arbeit und Leben heute. Übersetzt sozusagen für die Neuzeit. Nein, ich bin nicht in der Nachfolge von Reich-Ranicki oder Elke Heidenreich, aber das ist ein lesenswertes, ein empfehlenswertes Büchlein. Da lohnt sich die Lesezeit. Das packt einen; das habe ich an einem Nachmittag gelesen und jetzt schon zum zweiten Mal. Um was geht’s da? Ganz einfach: um das rechte Maß, Höre hin, unterscheide, diene! Hört sich altertümlich an, ist es aber nicht. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Regeln des erfolgreichen menschlichen Kommunizierens und Miteinanders in Alltag und Beruf. Und da geht es nicht immer besonders schön zu. Zugegeben, life is not a picknick, aber wir könnten uns viel Zeit und Energie sparen (und würden uns obendrein viel wohler fühlen), wenn wir ein bisschen ehrlicher miteinander umgingen und mehr Wertschätzung für den anderen entwickelten.
Der Fisch stinkt immer vom Kopf her, heißt es im Volksmund, bei Benedikt von Nursia klingt das vornehmer. „Wem mehr anvertraut ist, von dem wird mehr abverlangt.“ Die großen Lenker und Macher, all die Inhaber, Geschäftsführer und Executive Officers, die das große Rad drehen, haben besondere Verantwortung. Sie sind mehr gefordert als andere, nicht nur was ihre Verantwortung fürs Geschäft angeht, sondern auch bei der Führung der ihnen anvertrauten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Aber als was tritt der Mitarbeiter meistens auf? Primär zunächst einmal als Rädchen im großen Getriebe. Er wird tendenziell zum Objekt. Was wir da erleben, ist die Verdinglichung des Menschen. Der muss funktionieren. Wenn er nicht funktioniert wird er zum Problemfall und wird ausgetauscht. Umgekehrt fallen insbesondere die Marketing-Strategen auf den Fetischcharakter der Ware herein, wenn sie davon schwafeln, dass ihre Marke eine ‚unverwechselbare‘ Persönlichkeit habe. Der Ware wird – aus durchsichtigem Grund – zugestanden, was dem Mitarbeiter genommen wird: Persönlichkeit. Menschen dagegen sind wie Förderbänder, wie Abfüllanlagen oder Computer. Nun stehen aber leider leider die letztgenannten Dinge alle still, wenn die Menschen fehlen; immer noch sind sie es, die den Arbeitsprozess gestalten und vorantreiben. Sie sind nach wie vor die größte Produktivkraft im Arbeitsprozess. Wenn sie anpacken, dann bewegt sich was. Sie packen aber nur dann richtig an, wenn sie motiviert sind. Und das geht nur, wenn man sie nicht als „Ding“ als notwendiges Übel betrachtet, sondern wenn man mit ihnen redet, ihre Sorgen und Wünsche ernst nimmt, sie kurz um als Menschen behandelt.
Andererseits wirkt aber immer auch das Vorbild. Unsere Manager – sind sie Vorbilder? Ja, ob sie wollen oder nicht! Auf sie wird geschaut, nicht nur wenn es um Direktiven für den Job geht, sondern auch bei Orientierungen und Wertmaßstäben, die sie vorleben. Und da verlieren viele die Bodenhaftung. Sich schamlos bereichernde Topmanager, Vorstände und Betriebsräte gemeinsam im Edelpuff – das ist nur die Spitze des Eisberges. Im Alltag des täglichen Geschäftsbetriebes geht’s indessen profaner zu. Da wird gemobbt, Druck ausgeübt und Anerkennung verweigert. Dann doch lieber kein Vorbild…
Nicht, dass jemand meint, wir müssten während der Arbeitszeit alle mit einem Heiligenschein herumlaufen, aber vielleicht hilft ja ein bisschen Fortbildung in Sachen Menschsein. Mein Tipp: Anselm Bilgri/ Konrad Stadler, Finde das rechte Maß. Für nur neun Euro soviel Erkenntnis, geradezu ein Schnäppchen. Viel Spaß beim Lesen!