Ergebnisverbesserung und Dividendenzahlung
Startschuss „Pimp your Bollerwagen“
von Timur Dosdogru
Karneval, Rio, Samba, Zuckerhut – und, im WM-Jahr – Fußball der Spitzenklasse, Menschen mit überschäumender Lebensfreude – das sind zunächst die Begriffe, die der Durchschnittseuropäer mit Brasilien verbindet. Und da war doch noch etwas: Caipirinha – der Cocktailklassiker ist mittlerweile auch fast jedem geläufig, in Deutschland liebevoll als „Caipi“ verniedlicht. Und schon ist man damit beim Nationalgetränk und Synonym für Brasilien angelangt, dem Cachaça. Dass der mittlerweile beliebteste Partydrink Mitteleuropas die ursprünglich rein brasilianische Spirituose als Grundlage hat, ist hingegen weniger bekannt.
Über 30.000 Cachaça-Hersteller gibt es in Brasilien, unter ihnen viele Klein- und Kleinstbetriebe. Über sage und schreibe 5000 Marken (vergleichbar mit der deutschen Bierlandschaft) erzielen jährlich einen Umsatz von rund 600 Millionen US-Dollar. Etwa 450.000 Menschen sind landesweit direkt in der Branche beschäftigt, in der ge-samten Produktionskette sind es gar 1,3 Millionen, die mit dem hochprozentigen Zuckerrohrschnaps verbunden sind. Den gesamten brasilianischen Getränkesektor (einschließlich Bier) schätzt der dortige Getränkeverband auf einen Jahresumsatz von rund 3,7 Milliarden US-Dollar.
Das hätten sich wohl auch nicht die portugiesischen Entdecker träumen lassen, als sie im Jahr 1532 in São Vincente, dem heutigen Bundesstaat São Paulo, die erste Zuckermühle errichteten, um ihr aus Asien importiertes Zuckerrohr zu verarbeiten. Damit begründeten sie eine Epoche, die unter dem Namen Zucker-Zyklus (ciclo do açúcar) vom 16. bis 17. Jahrhundert in die brasilianische Geschichte eingehen sollte.
„Cagaça“ nannten die Indianer den Schaum, der beim Kochen des Zuckerrohrsaftes entstand und welcher als Tiernahrung verwendet wurde. Schließlich kam man dahinter, dass der Saft leicht gärte und sich damit auch destillieren ließ. Ab 1572 gab es den Cachaça (sprich Kaschassa) in fast allen Zuckermühlen des Landes. Der Name bedeutet wörtlich übersetzt schlichterweise „Schnaps“, früher wurde auch noch hochsprachlich die Bezeichnung „Aguardente“ verwendet, was soviel heißt wie „heiß brennendes Wasser“. Heute ist es allerdings anders, die beiden Bezeichnungen stehen auf dem brasilianischen Markt für zwei verschiedene Produkte und „Aguardente“ gilt – anders als Cachaça – als billiges industriell hergestelltes Massenprodukt, ohne irgendeine schönende Behandlung. Umgangssprachlich gibt es auch noch die Bezeichnung „pinga“ („Tropfen“ oder „Fusel“), die allerdings in spanischsprachigen Ländern zu Unmutsbekundungen führen könnte, da dieses Wort dort für „Penis“ steht.
Und damit ist man dann auch schon bei den Qualitätsunterschieden dieses hochprozentigen, aber in der Regel dennoch milden, blumigen Destillates, welches sich vor allem durch einen leicht honigähnlichen Geschmack auszeichnet, ohne dabei penetrant süß zu wirken. Mit einem Alkoholgehalt um 40 Prozent (oder auch mehr) lässt diese Spirituose, wie bei man es bei Bränden dieser Art erwartet, zunächst ein loderndes Feuer vermuten, welches sich aber bei einem guten Cachaça überraschenderweise als verhaltene Glut mit viel geschmacklicher Tiefe entpuppt.
Durch die Reifung in Eichenfässern entsteht so in Sachen Aroma und Farbe (klar oder bräunlich) ein sehr vielfältiges Produkt, welches den Vergleich mit europäischen Edelspirituosen nicht zu scheuen braucht. Ein wichtiger Punkt: Cachaça hat wenig oder kaum etwas mit Rum zu tun. Zwar wird beides aus Zuckerrohr-Basis gewonnen, aber Rum stammt meist aus der Melasse, die bei der Zuckerherstellung anfällt. Cachaça als brasilianische „Variante des Rum“ wird aus dem Saft der Zuckerrohrpflanze („Caldo de Cana“ genannt) destilliert – oft noch mühsam mit altertümlichen Maschinen, mühsam aus dem rund drei Meter hohen, noch grünen Schilfgewächs ausgequetscht.
Mit dem 18. Jahrhundert wurde die Zuckererzeugung als Hauptwirtschaftsträger durch die Goldgewinnung abgelöst, was aber dem Cachaça keinen Abbruch tat, wurde er nicht nur von den schwarzen Sklaven, sondern auch von allen Schichten des Landes geschätzt. Auch ein zeitweiliges Verbot durch die portugiesische Krone oder Besteuerung konnte den landesweiten Durchbruch des beliebten Getränkes nicht verhindern. Nur kulturell bedingt ging der Cachaça-Konsum zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit der Ankunft des portugiesischen Hofes unter Führung des Königs D. João VI. in der Oberschicht zurück, weil alles Europäische aufgewertet wurde. Aber auch dies änderte sich später wieder und heute gilt Cachaça als Ausdruck der brasilianischen Volksseele überhaupt. Das heimische Getränk wurde im 20. Jahrhundert von Intellektuellen wie Luís da Câmara Cascudo, Gilberto Freire und Mário Souto Maior im Rahmen seiner kulturellen, wirtschaftlichen und historischen Bedeutung für Brasilien wissenschaftlich untersucht. Übrigens sei an dieser Stelle auch gesagt, dass „Batidas“ die allgemeine brasilianische Bezeichnung für Cocktails ist und alle anderen Namensgleichheiten mit existierenden Mischgetränken eher zufällig sind. Die Bezeichnung Caipirinha geht auf das Wort „Caipira“ zurück, welches für die einfachen Bauern oder die Landbevölkerung überhaupt steht.
Doch Cachaça und Caipirinha sind ihrem ländlichen Image mittlerweile entwachsen und erobern zunehmend den Globus. Die jährliche Cachaça-Produktion liegt heute bei 1,3 Milliarden Liter, Produktionsschwerpunkte sind die Bundesstaaten São Paulo (44 Prozent), Pernambuco (12 Prozent), Ceará (12 Prozent), Minas Gerais (8 Prozent) und Paraíba (8 Prozent). Dies ergibt rund 900 Millionen 1-Liter-Flaschen und 600 Millionen 0,6-Liter-Flaschen, die jährlich im Land abgesetzt werden. Diese Zahlen katapultieren Brasiliens Nationalgetränk laut dem zuständigen Verband im weltweiten Spirituosenverband auf den dritten Platz, direkt hinter Wodka und Soju. Die großen Hersteller ste….
Die vollständige Redaktion finden Sie in unserer Print-Ausgabe 06/07/2006