Schweizer Wein will Discounter als Export-Einfallstor nutzen

Vinea-Trends 2005:
Verstärkte Ausfuhr soll die Eidgenossen
als Weinnation nach vorne rücken

von Timur Dosdogru

Eine Önothek unter freiem Himmel – so präsentierte sich vom 3. bis 4. September die diesjährige Vinea 2005, die bereits zum zwölften Mal stattfand. Seit ihrem Bestehen hat sich diese Weinschau im schweizerischen Kanton Wallis nicht nur als wichtigster Treffpunkt für eidgenössische Weinfans- und -kenner etabliert, auch für Produzenten aus dem angrenzenden In- und Ausland ist die Vinea in dem kleinen Ort Sierre (Siders) eine wichtige Drehscheibe in Sachen Wein geworden. „Vinea ist schließlich eine eigentliche Lebensphilosophie, die auf einem für Entdeckungen  offenen Geist fernab von jeglichem Snobismus beruht“, so die Erklärung des Vinea-Komitees.

Erstmals gab es in diesem Jahr auch die Swiss Wine Bar der großen Walliser Genossenschaft Provins, die ihr 75-jähriges Jubiläum feierte. Für die Besucher wurde ein neuer Degustationsführer entwickelt, mit dem man sich seinen Weg durch die über 1500 der besten Weine suchen konnte. Als besonderes Highlight hat sich auch der Wettbewerb Mondial du Pinot Noir (MPN) unter den großen internationalen Weinwettbewerben etabliert, der 1998 mit rund 400 hauptsächlich schweizerischen Weinen erstmals durchgeführt wurde und mittlerweile über 1000 Weine aus 18 Nationen rund um den Pinot Noir bewertet.
Diese Rebsorte wird in der Schweiz auf rund 5000 Hektar und den meisten ihrer sechs großen Weingebiete angebaut, ein Umstand, den die Eidgenossen in Zeiten allgegenwärtiger „Geschmacksglobalisierung“ mittels einer einzigen Rebsorte als großes Glück empfinden, weil in der Schweiz Pinot Noir nicht einfach Pinot Noir ist, sondern aufgrund der vielfältigen Terroirs und der Geheimnisse und Fähigkeiten der Winzer und Kellermeister sich diese globale Rebsorte völlig unterschiedlich erleben lässt. So könnte man sagen, dass die Vielfalt der Schweizer Weine einer Rebsorte ihre Einzigartigkeit ausmacht. Der Pinot Noir enthüllt in der Schweiz die subtilsten Bodenbeschaffenheiten und schafft so eine Vielzahl edler Tropfen.
Drei Preise gibt es beim Mondial du Pinot Noir, der dieses Jahr zum achten Mal veranstaltet wurde, zu gewinnen: Grand Vinea D’Or, Vinea D’Or und Vinea D’Argent. Wie bei Wettbewerben solcher Art üblich, wird oft und gern gemunkelt, dass die heimatlichen Weine bei der Bewertung möglicherweise irgendwie bevorzugt würden. Auch das diesjährige Ergebnis straft solche Worte Lügen. Den Grand Vinea D’Or als höchste Auszeichnung dieses Wettstreits gewannen dieses Jahr zwei deutsche, ein französischer und (lediglich) ein schweizerischer Betrieb: Die Winzergenossenschaft Sasbach am Kaiserstuhl mit ihrem 2003 Rote Halde Spätburgunder Rotwein Auslese trocken, Barrique, die Winzergenossenschaft Wasenweiler AG mit ihrer 2003 Wasenweiler Kreuzhalde Spätburgunder Rotwein Spätlese trocken, der französische Produzent Jean-Luc Aegerter mit 2003 Bonnes-Mares Grand Cru und der eidgenössische Betrieb Caves Fernand Cina SA, Cina Manfred & Damien mit dem 2004 Pinot Noir Salquenen. Auch bei der zweiten Medaille waren deutsche Betriebe zahlenmäßig am zweitstärksten vertreten, gefolgt von Österreichern, Neuseeländern und Franzosen. Bei der dritten Medaille mischten auch Argentinien, Chile, Italien und Ungarn mit. Bewertet wurden auch Rosé-, Schaum- und Süßweine.
In ihrem 75. Jubiläumsjahr steht die Genossenschaft Provins Valais als führender Weinproduzent der Schweiz gesund da: Sie verzeichnet für das Jahr 2004 trotz eines national rückläufigen Marktes eine Umsatzsteigerung von rund 7,9 Prozent sowie um 2,6 Prozent verringerte Betriebsausgaben (2003: 16,54 Prozent) und repräsentiert etwa ein Viertel der angebauten Weinfläche im Kanton Wallis. Das Betriebsergebnis konnte um 68 Prozent gesteigert werden. Die Eigenkapitalquote auf die nicht näher bezifferte Bilanzsumme beträgt 42 Prozent. In den letzten fünf Jahren errang Provins Valais bei nationalen und internationalen hochkarätigen Wettbewerben insgesamt 223 Medaillen. Die drei Hauptlinien des Unternehmens sind die Marken Maître de Chais (27 Prozent), Spécialités Valaisannes (25 Prozent) und Pichet (18 Prozent). Allein für die Linie Maître de Chais wird in den acht Kellern der Genossenschaft die Ernte von 5200 Winzern verarbeitet. Die Terrassen im Wallis sind in sage und schreibe 119.500 nur mühsam zu bearbeitende Parzellen aufgeteilt. Auch beim Export befindet sich das Unternehmen auf Expansionskurs. Der Exportumsatz konnte in den letzten drei Jahren seit Einführung neuer Strukturen vervierfacht werden, im Jahr 2004 wurde ein Plus von satten 85 Prozent verzeichnet – hauptsächlich in Deutschland und den Beneluxstaaten, wo direkt mit wichtigsten Marktteilnehmern und Importeuren zusammengearbeitet wird. Seit 2002 vermietet Provins Valais auch Weinberge, um den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Im vergangenen Jahr wurden über 130 Hektar Land zur Bewirtschaftung für Genossenschafter oder Privatleute vermietet. Mittlerweile wurde so ein Team von 22 Pächtern gebildet, die unter Verantwortung eines einzigen Verwalters sämtliche Betriebsaufgaben übernehmen. Trotz der nun auch für die Schweiz geltenden 0,5-Promille-Grenze und des damit verbundenen Konsumrückgangs in der Gastronomie habe man in den ersten fünf Monaten des laufenden Jahres 2005 die selbstgesteckten Ziele erreicht, heißt es. Dies verdankt Provins auch seiner engagierten Önologin Madeleine Gay, die ein herausragender Beweis von vielen ist, das Frauen nicht nur Wein machen können, sondern oft auch die besseren Önologinnen sind. Dafür stehen höchste Auszeichnungen beispielsweise in Brüssel oder in Verona auf der Vinitaly, die Madame mit „ihren“ Weinen eingeheimst hat.
Insgesamt tun sich Weine aus der Schweiz im discount-erprobten deutschen  Markt noch schwer – nicht zuletzt wegen der hohen Preise. Im vergangenen Jahr starteten die Schweizer eine Discount-Offensive im deutschen Markt und wurden zum ersten Mal Lieferant für Aldi-Süd. Laut Handelsblatt wurden je 300.000 Flaschen weißer Fendant und roter Dole der Walliser Weinhandelsfirma Caves Orsat für stolze 3,99 Euro in die Regale gebracht – nicht gerade wenig für eine Handelsschiene, in der der Durchschnittspreis für eine Flasche Wein 2,06 Euro beträgt. In der Schweiz hingegen, wo Weine mit Flaschenpreisen zwischen acht und zehn Euro als „Massenware“ gelten, gilt der Aldi-Preis schon als Kampfpreis. Schweizer Spitzenweine können lock-er 20 bis 30 Euro und mehr pro Flasche kosten. In diesem Jahr soll die Menge für den deutschen Markt gesteigert und auch Aldi-Nord beliefert werden. Für die Schweizer ist der späte Einstieg in einen etablierten Markt im Ausland aufgrund der großen Konkurrenz nicht gerade leicht, weil er aufgrund der späten Lockerung des Schweizer Weinmarktes schon fast zu spät kommt.
Der Versuch, im Ausland mit Kampfpreisen über den Discount als Hauptantreiber des Exportgeschäftes als Weinnation wahrgenommen zu werden, könnte sich als Danaergeschenk erweisen. Dem stehen vor allem erst einmal die im internationalen Vergleich geringe Produktionsmenge und vor allem die bisher noch fehlende, einheitliche Qualitätsbezeichnung entgegen – jeder Kanton macht bis jetzt noch was er will. Die Swiss Wine Communication versucht sich derzeit an der Schaffung einer Dachmarke Schweizer Wein, um Abhilfe zu schaffen. Auch im eigenen Land werden den Schweizern seit einigen Jahren die eigenen Weine anscheinend zu teuer, vielfach greifen Konsumenten nach Weinen aus der Neuen Welt. Allerdings sieht die laufende Discountoffensive nicht gerade nach einer behutsamen Öffnung des Schweizer Weinmarktes aus, von der vor drei bis vier Jahren noch die Rede war, außerdem wird wohl auch irgendwann die Einführung des Euro vor der Tür stehen, weil die Zeiten der eigenen „Schneegrenze“ (Branchenspott) vorbei sind. Paradoxerweise ist gerade die Vielfalt die Einzigartigkeit der Schweizer Weine – und genau dies macht sie besonders erklärungs- und erfahrungsbedürftig für den weniger kundigen Konsumenten oder Nicht-Schweizer. Mindestens 40 oder über 50 Rebsorten, davon viele autochthon (einige ausgestorbene inklusive) gibt es in dem Alpenland, die je nach Terroir und Mikroklima dermaßen unterschiedlich im Glas ausfallen können, dass selbst rebsortenfeste Genießer schon mal bei der Einordnung ins Schleudern kommen können. Wenn es andererseits den Schweizern gelänge, genau diese Vielfalt der Qualitäten den Konsumenten zu vermitteln, würde wahrscheinlich für den Heimatmarkt aufgrund der Begeisterung nur noch sehr wenig Wein übrig bleiben – vorausgesetzt, der Preis stimmt. Dies ist nicht gerade wahrscheinlich, wäre aber eine – zumindest prestigeträchtige – Vision.
Die ersten leichten „Bremsspuren“ in Sachen versuchter Expansion in Deutschland werden wohl nicht lange auf sich warten lassen, beziehungsweise zeichnen sich schon strichweise ab. Bei der diesjährigen Vinea war bereits ein erstes Stöhnen über die deutschen Discount-Einkaufsbedingungen zu hören. Der Druck sei seit den ersten Gesprächen schon mehr angestiegen, hieß es. Die preis- und prestigeverwöhnten Eidgenossen werden sich da in den nächsten Jahren wohl noch öfter die Augen reiben.