Prost, Salute, Cheerio!

Alkohol-Werbung und die richtige Ansprache der Trinkverfassungen

von Dipl. Psychologe Stephan Urlings, rheingold Institut für qualitative Markt- und Medienanalysen, Köln

Einen Baileys zum Fußballspiel im Stadion? Ein Whisky zur Begrüßung bei der Hochzeitsfeier? Kaum denkbar. Zum Fußball gehört das Bier, zur Hochzeit der Prosecco oder der Champagner. Die Verwendung von Spirituosen und alkoholischen Getränken ist stark von der Situation abhängig, von der Stimmung, in denen sich die Konsumenten befinden. Und von der Stimmung, die die Getränke versprechen. Das Verfassungsmarketing, welches auf tiefenpsychologischen Untersuchungen basiert, bietet dem Marketing hier ganz neue Perspektiven – fernab vom herkömmlichen Zielgruppendenken.

Produkte und Marken sind vor allem deshalb wirksam, weil sie Motive, Wünsche und Ängste der Verbraucher aufgreifen und bedienen. Dabei sind es allerdings viel mehr Faktoren, die diese Sehnsüchte beeinflussen, als man sich vordergründig klar macht. Unbewusste Motive spielen eine erhebliche Rolle. Die morphologische Markt- und Medienpsychologie deckte genau diese unbewussten Einflussfaktoren auf.
Mit Hilfe psychologischer Tiefeninterviews wird die Motivation „hinter“ den Wünschen aufgedeckt, es wird die geheime Logik des Marktes entschlüsselt. Jeder Markt entwickelt dabei seine eigene Logik, jeder Markt ist einzigartig und zeichnet sich durch eigene Mechanismen, Bedingungen, Sitten und eine eigene Sprache aus. Genau diese unterschiedlichen Motive der einzelnen Märkte zu ergründen, hat sich die tiefenpsychologische Marktforschung zum Ziel gesetzt. Denn die Kenntnis eben dieser spezifischen Bindungssehnsüchte, Motive und Wirkungskräfte ist die Voraussetzung für eine effiziente Marketingstrategie, die über Zielgruppendenken weit hinaus geht.

Die Konsumenten sind multiple Persönlichkeiten, die sich gegenüber Produkten und Marken immer weniger konstant und loyal verhalten. Die Erfahrung der Marktforschung in den letzten Jahren hat gezeigt, dass sich die Konsumenten in ihrem Verhalten verändert haben und die Definition von Zielgruppen durch soziodemographische Merkmale kaum noch weiterhilft. Wohlhabende kaufen heute genauso bei Aldi Champagner ein wie weniger Wohlhabende, ältere Menschen sind häufig genauso erpicht auf Trendprodukte wie Jüngere, und Frauen kaufen Männerprodukte. Das von rheingold entwickelte Verfassungsmarketing setzt an der Stimmung, dem ‚Zustand‘ oder den Bedingungen an, in welche sich Konsumenten begeben, die mit bestimmten Produkten, zum Beispiel alkoholischen Getränken, in ‚Kontakt‘ kommen. Diese Stimmungen, Bedingungen, Zustände werden mit dem Begriff ‚Verfassung‘ bezeichnet. Der Markt wird dabei wie ein psychisches Kräftefeld betrachtet. Betritt ein Konsument dieses Feld, so unterliegt er diesen Bedingungen und Kräften. Mit diesem Wissen kann ich eingreifen, steuern, verändern und meine Marken und Produkte attraktiver machen – das ist Verfassungsmarketing.
Das Modell des Verfassungsmarketings betrachtet das Konsumverhalten durch eine neue, andere „Brille“ als traditionelle Zielgruppenmodelle und kommt dabei zu einer Reihe spannender Erkenntnisse: Dass ein und derselbe Konsument beispielsweise eine Vielfalt unterschiedlicher Getränke parallel verwendet, erscheint dann nicht mehr chaotisch oder unsinnig.

Es zeigt sich meist, dass die verschiedenen Produkte unterschiedliche Verfassungen und die damit verbundenen Verwendungsmotive bedienen. Psychologisch ‚befriedigt‘ ein Baileys ganz andere Verfassungen als etwa ein Glas Whisky, Wein wiederum eine andere Verfassung als ein frisch gezapftes Pils.

Alle alkoholischen Getränke wie Bier, Wein oder Spirituosen sind Stimmungswandler. Sie helfen, von einer Stimmung in eine andere zu kommen. Sie erzeugen Stimmungen, die sonst schwerer zu erlangen sind und sie helfen damit, den Alltag gezielt zu gestalten. Allerdings birgt dieser Wunsch auf Stimmungswandlung für den Konsumenten auch eine Gefahr: Der Wunsch kann umkippen in eine zu starke Verflüssigung und die damit verbundene Angst vor Kontrollverlust. Spirituosen haben als Stimmungswandler die Funktion eines situativen Therapeutikums. Man trinkt ein Glas Whisky, um in eine bestimmte Verfassung zu kommen. Ein Glas Wein hingegen beinhaltet ein ganz anderes Verfassungsversprechen. Der Genuss einer bestimmten Spirituose ist also nicht in erster Linie von der Zielgruppe abhängig, sondern von situativ spezifischen Verfassungswünschen. Kurz: Die Spirituose soll uns in eine bestimmte Stimmungslage versetzen oder aber zumindest das Erreichen dieser Stimmung erleichtern, beziehungsweise beschleunigen. Im Umgang mit Spirituosen führen die Verbraucher einen unbewussten Geisterkampf. Denn …

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in unserer Print-Ausgabe 01/02/2005