Liebe Leser, in dieser Kolumne kommen Sie zu Wort. Schreiben Sie Viktor, er wird auch niemanden verraten. Großes Ehrenwuff!

Viktor

Mehr Wert

Hat man nicht schon genug Sorgen? Herrchen schrie gestern den Fernseher an: „Ihr spinnt ja miteinander. Alle!“. Auf der Mattscheibe flimmerte die Politiker-Frau in Hose zusammen mit dem Lehrer, der seit Jahren den Finanzminister gibt: „Mehrwertsteuer“ hieß das Stück. Herrchen senkte sorgenvoll sein Haupt und sprach zu mir: „Du Viktor, ich verstehe das nicht mehr. Noch mehr Steuern. Das sei gut und sorge für mehr Konsum.“ Das sei nicht Mathematik, sondern eine Milchmädchenrechnung, sagte Frauchen. Dies habe bei den anderen schon mit der versprochenen Entlastung der Sozialbeiträge nicht geklappt. Denn das habe sie – Frauchen natürlich – bei der Abrechnung von Herrchens Angestellten schwarz auf weiß gehabt.
Solche Andeutungen sind zwar etwas zu hoch für mich kleinen Hund, aber Frauchen weiß in solchen Sachen Bescheid. Herrchen brummelte: „Beide keine Kaufleute. Von Mittelstand kaum Ahnung. Aber große PR-Klappe. Und nichts in der Kasse.“ In solchen Sachen weiß Herrchen Bescheid, denn Herrchen steht an der Kasse. Langsam steckt er da aber klamm in der Klemme: Immer mehr seiner Kunden sind nicht geizig, sondern haben gar keine andere Wahl, als jeden Cent dreimal um zu drehen. Herrchen hat dafür Verständnis. (Auch weil Herrchen traurig zwei seiner Angestellten entlassen musste, die mich immer so lieb streichelten.) Denn nicht nur er hat auch Angst, dass so etliche seiner Kunden keinen Cent mehr beim Kasten Bier oder Mineralwasser akzeptieren werden. Weil die dann zu den Märkten rennen würden, die ihr Geschäft mit anderem als mit Getränken machen. Das kenn ich: Frauchen rennt auch gleich zum „Schlucker“-Markt, wenn dort nur „Dog Gourmet Premium“ mal zehn Cent billiger als im „Edi“-Markt ist. „Mehrwert“ ist ohnehin ein heißes Thema bei uns. Neben Mehrwertsteuer ist bei Herrchen oft die Rede von jenen, die gern von „mehr Wert schöpfen“ reden. Glücklicherweise hört Herrchen hin und weiß, was das bei manchem bedeutet: Preise heben, Marken versägen. Wenn also Herrchens Kunden weniger Flaschen von den Produkten jener kauften, erhöhen jene Wertschöpfer dafür die Preise. Als wahrer (Bier-)Grande erwies sich einer, der Herrchen und seinen Kumpels Vorträge hielt und Preise erhöhte. Aber dann für die gleiche Verkaufsmenge bei jemand weniger verlangte, bei dem er um jeden Preis zum Zug kommen wollte. Bahnbrechend. Wahrlich Premium.
Am Abend in Herrchens Stammkneipe meinte letztens einer lauthals: „Ach, die paar Prozent mehr Mehrwertsteuer. Das macht doch nichts, das merkt doch keiner.“ Der ist Kommunalpolitiker und Jurist. Nach seinem letzten Bier flüsterte er dann beschwichtigend zu Herrchen: „Du, ruhig Blut, den letzten beißen doch die Hunde. Und das bist doch nicht Du!“ Ich, Viktor, bellte empört. Abgesehen, dass ein anständig erzogener Hund wie ich nie auf solchen Gedanken kommen würde: Wenn ich jemanden beiße, muss mein Herrchen dafür die Zeche zahlen. So sieht das aus! Und als brauche es dazu noch Beweise, malte Frauchens Steuerberater mein Herrchen zukünftig als noch dünner belegtes Sandwich: als hauchdünne Scheibe Wurst zwischen rechnendem Kunden und vorgelagertem Finanzamt namens Industrielieferant. Eigentlich finde ich dick belegtes Käse-Sandwich mit Schinken, Tomate und Ei ganz lecker. Aber ob Sandwich-Herrchen bei zwei Prozent Umsatzrendite diese Prozent mehr Mehrwert-Steuer auch noch allein auf seine Schultern nehmen kann? (Ja, auch Viktor kann nicht nur fressen und schreiben, sondern sich auch die Dinge an vier Pfoten ausrechnen.)
Ich seh’s mit Bedenken: Gerne will ich mich zukünftig besser benehmen und auch weniger bellen, wenn’s dafür besser und wieder mehr wird. Denn das wär’s mir wert, gäb’s für mich bald auch wieder an Weihnachten mehr als das übliche Dosenfutter.

Bis Bald
Euer Viktor