Wo geht’s lang bei den Eidgenossen?

Schweizer Wein will verstärkt auf den deutschen Markt

von Wilfried Moselt

Die Statistik sagt, dass derzeit 86 Prozent der Männer und 80 Prozent der Frauen in der Schweiz ihren Gesundheitszustand als gut oder ausgezeichnet einstufen. Dass das mit den Weinen zu tun hat, die im Land erzeugt und getrunken werden, muss Spekulation bleiben. Das innige Verhältnis der Schweizer zu ihren Weinen ist indes nicht zu leugnen, auch wenn das Schiff der „Splendid Wine Isolation“, der hervorragenden Abschottung gegen Weine, die von außen ins Land drängen, mächtig ins Schlingern geraten ist.
Das Thema „Essen und Trinken“ spielt bekanntlich in der Schweiz, die aus vier Sprachregionen (deutsch, französisch, italienisch und rätoromanisch) und 26 Kantonen besteht, eine tragende Rolle. Die Gastronomie schafft es allenthalben mit Geschick, raffinierte Gerichte mit Schweizer Weinen in Einklang zu bringen. Das war immer so, und darauf konnten sich die Erzeuger Schweizer Weine gut ausruhen und der Zukunft gelassen, allzu gelassen, entgegensehen.

Schauen wir uns die Insel mitten im Meer der EU-Staaten einmal näher an! Die bedeutendsten Weinbaugebiete sind mit 11.390 Hektar oder 74 Prozent an der Gesamtrebfläche von knapp 15.000 Hektar in der französisch geprägten Westschweiz angesiedelt, und zwar in den Kantonen Wallis, Waadt, Genf und Neuenburg. Im Tessin, dem vorwiegend italienischsprachigen Landesteil in den südlichen Alpen, stehen ca. 900 Hektar beziehungsweise sechs Prozent der Rebberge. Die restlichen rund 20 Prozent liegen in der deutschsprachigen Ostschweiz, wo das Rebland weit weniger geschlossen ist als in der West- oder Südschweiz und sich auf mehr als ein Dutzend Kantone verteilt.

Die durchschnittliche Weinproduktion im Land liegt bei etwas über einer Million Hektolitern, wobei der Weißwein mit 55 Prozent die Nase vorn hat. Über 50 Rebsorten sind hier beheimatet, darunter einige internationale Klassiker wie Pinot noir (Spätburgunder), Syrah und Cabernet Sauvignon, Pinot blanc (Weißburgunder), Pinot gris (Grauburgunder) und Chardonnay. Hinzu kommen viele autochthone Sorten wie Humagne rouge, Humagne blanche, Amigne und insbesondere die Petite Arvine, der man bereitwillig eine realistische Perspektive auf dem deutschen Markt einräumen möchte, oder auch Schweizer Neuzüchtungen wie Gamaret, Garanoir oder Diolinoir, von denen kaum ein deutsches Ohr je gehört hat.

Die mit Abstand am weitesten verbreitete Rebsorte ist allerdings der Chasselas, eine Weißweinrebsorte, die Besuchern des Markgräflerlandes im Südwestzipfel Baden-Württembergs auch unter dem Namen Gutedel bekannt ist. Und an eben dem Chasselas scheiden sich wohl nicht nur die deutschen Geister. Der Chasselas besitzt bei den Schweizern eine Art Kultstatus, an dem nicht gerüttelt werden darf, wenn man vor Ort Freunde gewinnen möchte. Er bringt ausnehmend weiche, runde Weine hervor, die „von Natur aus“ gerade einmal 3,5 g/l Säure ins Glas bringen – ein rassiger deutscher Riesling liegt bei gut 8 g/l – und obendrein noch einem biologischen Säureabbau unterzogen werden.

„Wenn man beim Chasselas keinen biologischen Säureabbau vornimmt, ist er wie ein dreieckiges Rad am Gaumen“, sagt Uli Halbach, Delegierter des Verbandes Schweizer Weinexporteure (SWEA) und Promoter für Schweizer Weine speziell auf dem deutschen Markt. Wer will ihm widersprechen? Das ist die Vorstellung, mit der man in der Schweiz seit Generationen lebt – und durchaus nicht schlecht, vor allem wenn man auf der Erzeugerseite steht. Denn da werden Preise erzielt, bei denen sich deutsche Winzer vor Verwunderung nur die Augen reiben können. Wohl nirgendwo sonst in Europa wird man Keller finden, die sich in der Ausstattung mit einer solchen Selbstverständlichkeit der technischen Perfektion nähern. In Weinmacherkreisen wurde Jahrzehnte gut, sogar sehr gut verdient.

Die Schweizer, die ohnehin nicht zu den Ärmsten in der Welt zählen, kauften ihre Weine bei Schweizern und schauten nicht auf den Fränkli und schon gar nicht auf den Rappen. Man bezahlte locker, was verlangt wurde, gab es doch bis in die jüngere Vergangenheit kaum Alternativen zu einheimischen Weinen auf dem Schweizer Markt. Noch vor wenigen Jahren entrüsteten sich Schweizer Weinerzeuger heftigst, wenn man sie auf ihre stolzen Preise ansprach. „Unsere Weine sind einfach so gut, dass sie nicht billiger in den Verkauf kommen dürfen. So wird es bleiben“, hieß es. Man mag es annehmen oder auch nicht. Ohne Komplikationen wird es nicht abgehen, dem deutschen Gaumen einen Chasselas jenseits des Markgräflerlandes so richtig schmackhaft zu machen, zumal dann, wenn man für gängige Exemplare umgerechnet locker mehr als 12 Euro hinblättern soll. Da sei der deutsche Geiz davor! Man wird bei den Schweizer Erzeugern den Preisgürtel deutlich enger schnallen müssen, wenn man auf dem deutschen Markt, dem wichtigsten Umschlagplatz der Welt für alle Wein exportierenden Länder, solide Fuß fassen möchte.

Die Zeit der Träume ist auch für die Eidgenossen vorbei. Es hat sich mittlerweile überall in der Schweiz herumgesprochen, dass andere Länder gleichfalls schöne „Wein“-Töchter haben. Schweizer Wein wird deshalb dringlicher denn je nach Märkten außerhalb der Bergidylle suchen. Für die deutsche Kehle wird es nicht unbedingt und ausschließlich ein Chasselas sein müssen. Ein ordentlich ausgebauter Wein aus der „Schweiz-eigenen“ Weißweinrebsorte Petite Arvine bietet da beste Alternativen. Wer einmal die „Kleine Arvine“ probiert hat, wird sich auf den Weg machen, ein großer Freund Schweizer Weine zu werden. Bei ihr findet er lebendige Frische und ausgeprägte Fruchtnoten mit Anklängen an Zitrus und Glyzinienblüten, Finesse auf der Zunge und Eleganz am Gaumen und ist sehr geneigt, mit Genuss nachzufassen. Deutschland wartet gerne auf Schweizer Weine, die bezahlbar sind.