Reise nach Eden

Chiles Weingüter sind in einer anderen Welt zu Hause – Teil 2

von Wilfried Moselt

Chile, das ist die Geschichte eines ganz anderen Landes. Es ist die Geschichte von märchenhaften Besitztümern in weiten Parks hinter Mauern und sperrenden Schranken und von ergreifend bescheidener Genügsamkeit in endlosen Reihen windschiefer Hütten hinter notdürftig zusammengezimmerten Gartenzäunen an Landstraßen und Wegen.
Nachfolgend werden die übrigen Weingüter der Chile-Tour 2004 mit jeweils zwei Weinen vorgestellt.

Das Weingut
Miguel Torres****

Miguel A. Torres ist unter Kennern der europäischen Weinszene seit langem zum Inbegriff für noble Weinbereitung und einen perfekten Vermarktungsstil geworden. Die vinologische Galionsfigur ist im Penedés im Nordosten Spaniens zu Hause, wo die Familie Torres seit dem 17. Jahrhundert Weinbau betreibt und bereits 1870 eine Exportgesellschaft gründete, um die eigenen Weine auszuführen.
1979 kaufte Don Miguel Torres Carbó ein für chilenische Verhältnis eher kleines Weingut mit 90 Hektar Rebfläche im Weinbaugebiet Curicó. Heute umfasst der Besitz in Chile rund 400 Hektar Weinberge und eine modernst eingerichtete Kellerei, in der mittlerweile großartige Weine abgefüllt werden. Miguel A. Torres steht der Familie in der sechsten Generation vor und hat auch in Chile keine Abstriche an seinem bekannten Ehrgeiz gemacht, Spitzenqualitäten auf die Flasche zu bringen. „Inzwischen haben viele internationale Firmen in Chile Weingüter erworben“, sagt Miguel A. Torres. „Wir sind stolz darauf, dass wir die erste ausländische Gesellschaft waren, die in diesem Land mit der längsten weinkulturellen Geschichte Amerikas Investitionen getätigt hat. Wir finden hier erstklassige klimatische Bedingungen vor, kennen keine Reblausprobleme und dürfen behaupten, in einem Weinbauparadies zu leben.“ Er ist zwei- bis dreimal im Jahr in Chile, um nach dem Rechten zu sehen. Das scheint zu genügen.
Man ist geneigt, ihm zu glauben, dass er sich auf seine Mannschaft vor Ort unter Führung seines erfahrenen Kellermeisters Fernando Almeda Ollé verlassen kann, der bei der Vorstellung der Torres-Weine einen nachhaltigen Eindruck hinterließ.

Das Weingut
Montes***

Alfredo Vidaurre V. gilt als leidenschaftlicher Sammler alter Dampfmaschinen. Er ist einer der vier Begründer des Weinguts, das mittlerweile rund 300 Hektar Weinberge besitzt, und belegt gewissermaßen zur Begrüßung, dass das alte Vehikel gleich hinter dem Eingang links auch tatsächlich funktioniert. Mit Lärm und Qualm stampft die Dampfmaschine auf der Stelle, und Alfredo Vidaurre lächelt.
Er lächelt eigentlich immer. Vielleicht, weil ihm das Leben in Chile gefällt, vielleicht, weil es ihm Spaß macht, einer der vier Direktoren eines so erfolgreichen Weinguts zu sein. Die teuerste Flasche der Probe soll in den Vereinigten Staaten üblicherweise für 150 US-Dollar über den Ladentisch wechseln. Damit lassen sich in Chile zwei Arbeiter einen Monat lang bezahlen. Als sich 1988 vier Weinexperten (Aurelio Montes, der dem Gut den Namen gab, Douglas Murray, Alfredo Vidaurre und Pedro Grand) zusammentaten, um ein Weingut ins Leben zu rufen, hatten sie sich aufs Banner geschrieben, chilenische Premium-Weine zu erzeugen. Und das haben sie geschafft.
Die amerikanische Presse ist allenthalben voll des Lobes. 92 Prozent der Erzeugung gehen in den Export und werden in 61 Länder auf allen fünf Kontinenten ausgeführt. Der Hauptanteil wird in den Staaten abgesetzt, und das wundert nicht, waren doch die meisten Weine, die im Verkostungsstand im Weinberg hoch über dem Gut mit einem grandiosen Ausblick auf eine phantastische Landschaft probiert wurden, deutlich vom jungen Eichenholz geprägt. Aber es gab auch Ausnahmen, wie zum Beispiel die zwei prächtigen Exemplare (siehe Seite 74), die vorzüglich schmecken und sich bestens für den europäischen Markt eignen.
Das Weingut
Los Vascos***

Bei Los Vascos schauen die Wächter vom Sicherheitsdienst besonders grimmig drein und vermitteln dem Gast, dass es eine Auszeichnung ist, hier vorgelassen zu werden. Denn auf Los Vascos sind private Besichtigungen nicht vorgesehen. Ausnahmen macht man gelegentlich bei Presseleuten. Aber dann wird es nach der lo-ckeren Begrüßung durch den Geschäftsführer Claudio Naranjo doch noch ausgesprochen gemütlich im für Besucher ach so schwer zugänglichen Weingut, das rund 200 Kilometer südwestlich von Santiago im traditionsreichen Weinbaugebiet Colchagua gelegen ist.
Der Name „Los Vascos“ erinnert daran, dass die Vorfahren der ursprünglichen Eigentümer Basken waren, die die Reben aus Frankreich nach Chile gebracht hatten. Der Besitz umfasst heute rund 600 Hektar Rebfläche und gehört seit 1988 den Baronen von Rothschild (Château Lafite), die das Weingut von Grund auf modernisierten, um Spitzenqualitäten nach französischem Vorbild auf die Flasche zu bringen. Oben im Weinberg ist ein großer Steintisch eingerichtet, der Auskunft über die Weinlagen gibt. Es erfordert indes eine kleine Umstellung, wenn man die Karte richtig lesen will. In der südlichen Hemisphäre auf der anderen Seite der Erdkugel ist der Süden kurioserweise oben angesiedelt. Man hat unwillkürlich den Eindruck, der Pazifik sei auf der „falschen“ Seite eingezeichnet.
Das Weingut
Cono Sur****

Cono Sur ist ein besonderes Weingut. Da gibt es nichts zu deuteln. Kreatives Handeln und Weinmacherleidenschaft gehören zum Betrieb wie das Amen zum Gebet. Dass man hier zu gegebener Zeit Scharen von Gänsen im Weinberg antrifft, die für das gesunde Gleichgewicht von gewünschter und ungewünschter Flora und Fauna sorgen, ist beileibe nicht alltäglich. Und dem Wasser für die Tröpfchenberieselung der Rebstöcke, das neben dem Teich für die Gänse in einem höher gelegenen Becken bereitgehalten wird, sind pflanzliche Wirkstoffe zugesetzt, die den Schädlingen das Leben schwer machen. Das 1993 als Zweigniederlassung von Concha y Toro gegründete Weingut, das heute über eine Rebfläche von rund 600 Hektar verfügt, sollte den Zweck erfüllen, innovativ ausgebaute, ausdrucksvolle Weine im Sinne des Weingeschmacks der Neuen Welt zu erzeugen. Zum Glück für den Verbraucher in Europa hat man sich dann nach und nach wohl eher nach dem Gusto der Alten Welt ausgerichtet.
Das, was die Kellerbrigade unter der Leitung des Önologen Adolfo Hurtado aus dem Lesegut vinifiziert, ist praktisch durchgängig für verwöhnte Gaumen geeignet. Selbst der von einer deutlichen Barriquenote geprägte Chardonnay ist mit seiner faszinierenden Frucht und seiner trotz des Holzeinflusses überaus lebendigen Frische so vorzüglich im Gleichgewicht, dass man ihm bescheinigen möchte, der beste Chardonnay der Chile-Tour gewesen zu sein. Cono Sur ist eine zu buchende Adresse für Weingenießer.
Das Weingut
Matetic (ohne Wertung)

Das gerade erst gewissermaßen aus dem Boden gestampfte Weingut mit dem zum Teil unterirdisch tief in den Berghang gesetzten riesigen Kellereigebäude, das im Frühling 2004 noch mitten in der Bauphase steckt, ist Luftlinie 20 Kilometer vom Pazifik entfernt. Von den insgesamt 90 Hektar mit Reben bestockten Flächen steht zu diesem Zeitpunkt kaum die Hälfte im ohnehin noch jungen Ertrag.
Die Bedingungen im Weinbaugebiet San Antonio unterscheiden sich merklich von denen in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Anden. Kein segnendes Wasser fließt wie ein Dauergeschenk von den mächtigen Bergen. Der Betrieb sah sich gezwungen, 45 Brunnen für die Bewässerung der Weinberge anzulegen, um eine Ver…

Die vollständige Redaktion finden Sie in unserer Print-Ausgabe  08/09/2004