Ne kölsche Jung

Tamara Dragus im Gespräch … Heinrich Becker

Nicht, dass ihm der Frohsinn ins Gesicht geschrieben stünde, doch wer sich ein bisschen auskennt mit der rheinischen Gemütsverfassung, merkt schnell, dass Heinrich Becker mit Leib und Seele Kölner ist. Als geschäftsführender Gesellschafter der Privatbrauerei Gaffel Becker & Co. herrscht er zusammen mit seinem Bruder Johannes über Deutschlands sechstgrößte Fassbiermarke. Mit einem Gesamtausstoß von 500.000 Hektoliter und einem Fassbieranteil von 67 Prozent ist Gaffel Kölsch
nicht nur Marktführer im Gastronomiebereich, ein „lecker Gaffel“ steht auch für die treue Verbundenheit der durstigen Rheinländer zu allem, was kölsch ist.
Heinrich Becker kennt man. Der smarte Brauer vom Eigelstein ist stolz darauf, ein Produkt sein Eigen zu nennen, das neben Champagner, Chianti und Parmaschinken als einziges in die Liste der europäischen Regionalspezialitäten aufgenommen wurde.

Die Gaffel-Brauerei übernimmt er zusammen mit seinem Bruder Johannes im Jahre 1972, nach dem plötzlichen Tod seines Vaters. Bereits 1908 erwirbt Beckers Großvater den Familienbetrieb und macht aus dem ehemaligen Brauhaus „Zum Leysten“ die „Obergärige Bierbrauerei in der Gaffel“. Die sogenannten „Gaffelgesellschaften“ etablieren sich im 13. und 14. Jahrhundert als Gegenstück zu den Zünften in anderen Städten. Auf den Treffen der Händler und Kaufleute ziert eine große Vorlegegabel – die „Gaffel“ – die Tafel der auserwählten Gemeinschaft. Bis heute spiegelt der Name ein Stück kölsche Tradition und Zeitgeschichte. Bis zum 2. Weltkrieg bleibt die Gaffel-Brauerei eine kleine, aber feine Hausbrauerei.
Der entscheidende Durchbruch kommt mit dem Kölsch-Boom Ende der 50er Jahre, Anfang der 60er Jahre. Dass es die obergärige Vollbier-Spezialität nur von der Stange gibt, und sie ausschließlich in den heimischen Gefilden gebraut werden darf, dafür sorgt Herr Becker höchstpersönlich. Drei Jahre nachdem er den Vorsitz des Kölner Brauereiverbandes übernommen hat,  unterzeichnet er am 6. März 1986 zusammen mit 23 weiteren Oberhäuptern führender Kölsch-Brauereien die berühmte Kölsch-Konvention.

Seitdem wacht ein strenges Gremium über die Einhaltung der Beschlüsse, in Streitfragen entscheidet ein Schiedsgericht. Dass sich die Kölner ihr eigenes Reinheitsgebot kreieren, ist typisch. Der Kölner im Allgemeinen ist der geborene Lokalpatriot. Herr Becker im Besonderen ‘ ist es auch. Aufgewachsen im „Hätz vun d’r Welt“, als drittes von vier Kindern. Der Vater, ein waschechter Rheinländer, die Mutter luxemburgischen Blutes und adelig dazu, machen den beckerschen Genmix perfekt.

Rheinische Frohnatur mit frankophilen Wurzeln, da ist die Lebenslust vorprogrammiert. Auch wenn man es ihm auf den ersten Blick nicht ansieht:
Dieser Mann kann feiern.

Obwohl er nach eigener Aussage nie die Contenance verliert, lässt er es sich doch nicht nehmen, sich im Kölner Karneval dick geschminkt mit einer Horde Gleichgesinnter unters Volk zu mischen. Eine eigens dafür engagierte Visagistin zaubert dem jecken Brauherrn alljährlich ein wahres Kunstwerk ins Gesicht, so dass er – inkognito sozusagen –  vielleicht auch ein bisschen über die Stränge schlagen darf. Nach Aussage seiner beiden Mitarbeiterinnen, die ihm beinahe ein Vierteljahrhundert zur Seite stehen, ist dieser Mann nie krank. Dass ein Mensch sich nicht immer auf dem Höhepunkt seiner geistigen und körperlichen Kräfte befindet, scheint Herrn Becker fremd zu sein. Er selbst kennt diesen Zustand nicht, oder er spricht nicht darüber. Beides ist möglich. Dank seiner disziplinierten Lebensweise bringt diesen Mann so gut wie nichts aus der Fassung. „Von mir aus könnt ihr auf dem Tisch tanzen“, so die schlichte Arbeitsanweisung im Hause Gaffel.

So lange die Dinge in seinem Sinne laufen, lässt Heinrich seine Leute an der langen Leine. Ab und zu allerdings ärgert er seine Damen ein wenig, doch das ist der berühmte Schalk, der jedem Rheinländer im Nacken sitzt, und der einzig dazu dient, seinem Gegenüber den Unernst faktisch jeder Lebenslage beizubringen. Ironie nennt man das. Und Heinrich ist gerne ein bisschen ironisch. Neben dem speziellen Humorverständnis legt Herr Becker auch ab und an eine gewisse Naschhaftigkeit an den Tag.

Das Phänomen, dass er immer dann um die Ecke biegt, wenn die zwei Damen Nahrung aufnehmen möchten, scheint erwähnenswert. Ob Schnittchen, Brötchen, Kuchen oder andere kulinarische Köstlichkeiten – Heinrich Becker ist zur Stelle. Mit den Worten „Kinder, das sind wieder Kalorien!“, schnappt er den Kolleginnen auch schon mal was vom Teller. Momentan sind sie vor ihm sicher, denn Heinrich widmet sich für vier Wochen dem Genuss von Wasser und Brot, oder um es genauer zu sagen, von Tee und altbackenen Semmeln. Über seine Frau ist er zur Mayr-Kur gekommen. Im Januar gibt es keinen Alkohol, ab und zu eine Gemüsebrühe und ganz, ganz viele trockene Brötchen. Ab Februar ist Herr Becker dann wieder rank, schlank und voller Elan. Auf ärztliche Kontrolle während seines Entschlackungstrips verzichtet er. „Ich bin gesund, ich brauche das nicht.“ Dass der Mann eine beinahe überbordende Energie hat, ist sicher, dass er sie braucht, auch. Um nur einige seiner Aktivitäten aufzuzählen: Seit 1983 Vorsitzender des Kölner Brauereiverbandes, seit 1988 Vorsitzender des Verbandes Rheinisch-Westfälischer Brauereien, seit 2002 Vizepräsident des Deutschen Brauerbundes. Mitglied im Industrie- und Gewerbeausschuss der IHK-Köln. Weitere Mitgliedschaften im Rotary-Club „Köln am Rhein“, im Golf- und Landclub Köln Refrath  sowie in der Montagsgesellschaft, einer illustren Runde namhafter Kölner Bürger, bei der er dreißig Jahre zuvor seine Frau Angela kennen und lieben lernt.

Mit ihr gemeinsam zieht er drei Kinder groß, die beiden Söhne Heinrich und Cornelius und Tochter Theresa. Das mit dem gemeinsamen Großziehen ist wörtlich zu nehmen, denn Heinrich Becker ist mit Leib und Seele Familienmensch und steht seiner jungen Frau mit Rat und Tat zur Seite. Schiebt die zwei Jungs und Töchterchen Theresa rund um den Aachener Weiher oder geht mit ihnen im Kölner Stadtwald spazieren. „Wenn er Zeit hatte, hat er mir die Kinder abgenommen.“ Kein Wunder, dass bei diesem Mustervater auch noch ein vierter Nachkömmling im Gespräch ist. Doch Heinrichs Antwort darauf ist eindeutig: „Ich bin jetzt fünfzehn Jahre zum Ententeich gelaufen – das reicht.“

Heute sind die zwei fabelhaften Becker-boys und Nesthäkchen Theresa längst flügge und jeder der Drei geht seinen Weg mit Erfolg und einer gehörigen Portion Eigenständigkeit.