Heidelberger Fachseminare 2003 – Verbraucher wünschen gesunde Produkte und vielfältige Sortimente

Industrie sorgt sich um Zulassungsbeschränkungen und Werbeverbote

von Timur Dosdogru

Wie einfach könnte doch die Welt sein: Die Verbraucher von heute sind mittlerweile gewöhnt, dass ihre Konsumwünsche, zumindest in Sachen Nahrungsmitteln erfüllt werden. Vor allem in den letzten Jahren hat sich die Industrie in geschmacklicher und verpackungsrelevanter Hinsicht allerhand einfallen lassen, um die Getränkewirtschaft wieder richtig in Schwung zu bringen. Am Anfang stand dabei die grundlegende Erkenntnis: Es muss schmecken. Das hat sich mittlerweile herumgesprochen. Und: Es muss auch gefallen.

Kein Produkt wird heute mehr ins Rennen geschickt, ohne dass die dafür ausgewählten Zielgruppen genauestens befragt werden, ob es ihnen schmeckt, mit anderen Rezepturen vielleicht noch mehr (oder weniger), ob der Preis und Verpackungsart in Ordnung sind und wer weiß noch etwas. Und trotzdem kann auch das trotz genauster marketingtechnischer Planung dennoch zu einem Flop führen.

All dies ist allein schon schwierig und aufwändig genug. Aber dann kommt noch irgendein ignoranter grüner Bundesumweltminister, der ein Zwangspfand auf Einwegverpackungen durchsetzt, den Super-Sommer radikal versaut, mehrere tausend  Arbeitsplätze für immer vernichtet, und dann kommt auch noch die EU-Kommission, die am liebsten alles verbieten, vorgeben, erfassen und registieren will – und das mit einer von manischem Schwachsinn durchsetzten Gründlichkeit, welche die sprichwörtlich deutsche noch weit in den Schatten stellt.

Allein bei den Zigarettenschachteln hat der unsinnige Todesursachenhinweis nur Geld gekostet und bringt erwiesenermaßen nichts, außer denjenigen, die lustige Überzieher und Überkleber für Zigarettenschachteln anbieten. Ausgangspunkt von all diesem Unsinn ist – wie bei allem, was die Europäer mit ein paar Jahren Verzögerung aus Übersee ereilt – wie immer das „freie” Amerika, dessen Sicherheitsfanatismus schon als krankhaft bezeichnet werden darf – wobei die USA vieles, vor dem sie sich heute fürchten, schlichtweg selbst verursacht haben. Das fängt, um es überspitzt zu sagen, bei Fettsucht an, geht über den 11. September 2001 und hört – vorläufig – beim Irak-Krieg auf. Aber was soll man von einem Land erwarten, in welchem irrsinnige Schadenersatzforderungen locker Millionen einbringen, ein Restaurantbesitzer sich gezwungen sieht, mit einem Hinweisschild auf dem Parkplatz darauf hinzuweisen, dass möglicherweise ein Vogel aufs Auto scheißen könnte, wo in einem Straßencafé sogar im Außenbereich nicht geraucht werden darf? Was Lebensmittel angeht, resultiert aber auch Gutes daraus: Diese sind heute so sicher, wie niemals zuvor. Vorausgesetzt es kommen keine bösen Terroristen oder einzelne Wahnsinnige, die sie schlecht machen, um anderen Menschen zu schaden. Dies war unter anderem Thema der Internationalen Heidelberger Fachseminare 2003 der Wild-Gruppe. Dem weltweit tätigen Familienunternehmen als wohl größten Hersteller natürlicher Grundstoffe, Spezialkonzentrate, Aromen und Extrakte für Lebensmittel und Getränke kann so etwas natürlich nicht egal sein. Schon gar nicht, wenn man sich seit über 70 Jahren für eine bessere und gesündere Welt einsetzt. Und dies fängt bei Essen und Trinken an.

Zunächst aber noch einmal zum amerikanischen Traum von Sicherheit und Kontrolle, über den der Experte Ray Petitt, der mit einem eigenen Unternehmen in diesem boomenden Gewerbe tätig ist, in der Heidelberger Stadthalle vor über 550 Seminarteilnehmern aus 58 Ländern referierte. Obwohl Petitt selbst einräumte, dass die Lebensmittelindustrie derzeit nicht im Fokus des Terrorismus stehe, mutete vor allem für die europäischen Gäste vieles seiner Ausführungen mehr als bizarr an. Demnach muss sich ein Unternehmen am meisten vor eigenen ehemaligen Mitarbeitern fürchten, weil diese als Insider mit den Produktionsabläufen deren eventuellen Schwachstellen bestens vertraut sind. Dies gipfelt dann in Thesen wie „Terroristen bedrohen Nahrungsmittel” oder „Nahrung ist nicht der Feind – Angreifer sind die Feinde“, gleichzeitig mit der Erkenntnis, dass eigentlich alles so sicher ist wie noch nie und gleichzeitig nichts wirklich sicher ist, außer der Tod – entweder einfach so oder durch falsche Ernährung, vergiftete Nahrungsmittel, Krankheit, Unfall oder Krieg.

Und der Mensch wundert sich, dass er überhaupt noch überlebt in dieser ach so schrecklich globalisierten Welt (und manchmal sogar gar nicht schlecht). Und damit das so bleibt, müssen Nahrungsmittel und Getränke immer besser (sicherer) werden, damit sie noch besser und mehr verkauft werden können. Die Frage ist nur: Wie? Die Antwort: Alles muss noch besser werden und dies muss dem Verbraucher auch ohne staatliche Gängelung vermittelt werden können. Für Firmeninhaber Hans-Peter Wild steht fest, dass es für die Ernährungsindustrie die größte Herausforderung der nächsten Jahre sein wird, die nötigen Handlungsspielräume für die Zukunft zu sichern, um dem Verbraucher auch künftig die gewünschte Produktvielfalt anbieten zu können. Es sei kein Problem, die wachsende Nachfrage nach gesunden, natürlichen, schön (und sicher) verpackten Produkten zu erfüllen, so Wild, der jedoch die politische Entwicklung mit Sorge verfolgt, wie beispielsweise das Verbot von Softdrinks an amerikanischen Schulen, die drohenden Werbeverbote in der EU für bestimmte Produktgruppen und die geplante Einschränkung der Lebensmittelanreicherung. Hier sei noch viel Informationsbedarf und daher umfangreiche Aufklärungsarbeit zu leisten. Erfreulich habe sich der Markt für alkoholfreie Getränke entwickelt, wie Wolfgang Bock, Wild-Gesamtvertriebsleiter Getränke für Europa, feststellte. Danach habe es im AfG-Bereich in 2002 einen Zuwachs von 5,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr gegeben und der Markt habe ein Volumen von mehr als 117 Milliarden Liter erreicht. Drei Viertel des Volumens vereinen die westeuropäischen Länder auf sich, deren Anteil nimmt aber zugunsten der osteuropäischen Länder ab, die ein überdurchschnittliches Wachstum verzeichnen.

Wasser hält mit 40 Prozent den größten Marktanteil, dicht gefolgt von den kohlensäurehaltigen Getränken, die auf 36 Prozent kommen. Der Markt mit Säften und Nektaren ist mit elf Prozent stabil. Stille Getränke, Sport- und Energydrinks erreichten 2002 Steigerungsraten von 19,3 beziehungsweise 13,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Am Gesamtmarkt haben sie einen Anteil von unter fünf Prozent, aber hier seien noch Steigerungen zu erwarten, weil diese seit Jahren überdurchschnittlich gewachsen seien, wie Bock weiter ausführte. Auch die großen Konzerne, die früher ihren Schwerpunkt auf kohlensäurehaltige Getränke gelegt hätten, hätten zwischenzeitlich umgedacht und verbuchten mit stillen Getränken „überdurchschnittliche Absatzerfolge“. Für 2003 sagte Bock voraus, dass der europäische AfG-Markt weiter expandieren werde, was einem Mengenplus von geschätzten 3,6 Prozent oder vier Milliarden Liter entspreche. Bock rechnete mit einem weiteren Wachstum von 7,5 Prozent in Osteuropa, für den westeuropäischen Markt sagte er eine Absatzsteigerung von 2,2 Prozent voraus. Da der Wassermarkt mit Steigerungsraten von mehr als sechs Prozent überdurchschnittlich wachse, sei dieser Anteil am gesamten AfG-Markt für 2003 auf 42 Prozent zu veranschlagen. Bei den kohlensäurehaltigen Getränken sei zwischen den zuckerhaltigen Produkten (geschätztes Plus: 1,7 Prozent) und den kalorienarmen Sortimenten (geschätztes Plus: sechs Prozent) zu unterscheiden. Für die stillen Getränke prognostizierte Bock ein Wachstum von 7,7 Prozent, bei den Energydrinks sei sogar ein Wachstum von neun Prozent möglich. Bei Säften und Nektaren hingegen sei mit einem Rückgang zu rechnen. Der Absatzentwicklung stehe allerdings die Umsatzentwicklung der Getränkeindustrie entgegen, der Druck auf die Preise werde nach wie vor größer, nur noch bei Trendprodukten und Innovationen würden erfreuliche Erträge erzielt.

Der Haupttrend der Zukunft sei Gesundheit und Wellness, auch unabhängig vom derzeitigen politischen Aktionismus. „Den Menschen wird immer deutlicher bewusst, dass sie durch eine ausgewogene Ernährung einen entscheidenden Beitrag zur Gesunderhaltung ihres Körpers leisten können.” Dies werde auch immer klarer, dass ein solcher Beitrag geleistet werden müsse, angesichts der derzeit ins Unermessliche steigenden Gesundheitskosten: „Prävention wird zur Aufgabe jedes Einzelnen.“ Für das Segment der stillen Getränke verwies Bock auf die Nachfolgegeneration der Orange-Karotte-ACE-Getränke. Neue, Erfolg versprechende Drinks seien solche auf Basis von Blutorange, Acerola oder Apfel-Heidelbeere mit Zusätzen von Ginseng, Ginkgo, Grüntee oder Aloe Vera. Vor allem Aloe Vera habe ein positives Image als Heilmittel und Kosmetikum, außerdem gebe es bereits auch in der Milchwirtschaft erfolgreiche Produkte mit Aloe-Vera-Zusatz.

Soja ist für Bock „das funktionale Lebensmittel schlechthin“ mit einem großen Potenzial, ein guter Ersatz für Kuhmilch besonders für Vegetarier und Menschen mit einer Lactose-Unverträglichkeit. In den USA und in Europa seien die Zuwachsraten für Sojadrinks fast überall zweistellig, hieß es, und in Großbritannien betrage das Marktvolumen im LEH über 33 Millionen Liter, wobei 2002 ein Absatzzuwachs von 21 Prozent erzielt worden sei. Im deutschen LEH hätten die Sojagetränke im vergangenen Jahr ein Plus von 92 Prozent erzielt. Man könne nun auch neue Verwendergruppen ansprechen, weil die Wild-Gruppe dank ihres Soja verarbeitenden Betriebes in Schwerin nun auch Pro…