DESTINATION: SAALE-UNSTRUT GATE: FREIBURG

Edle Fassung für Schaumwein aus Sachsen-Anhalt

von Timur Dosdogru

Nein, mit dem alten Märchen vom Rotkäppchen und dem bösen Wolf hat der Markenname Rotkäppchen überhaupt nichts zu tun. Vielmehr war er eine Notlösung, ein schnell zu suchender Ersatzname, der sich ausschließlich auf den roten Flaschenverschluss bezieht. Diesen hatte vor 110 Jahren die damalige Freyburger Kellerei Kloss & Foerster ins Leben gerufen, weil der bisherige Name Monopol wegen einer Gesetzesänderung zum Schutz von Warenbezeichnungen nicht mehr verwendet werden durfte – so wie sich ein nach dem traditionellen Flaschengärverfahren hergestellter Sekt aus Deutschland nicht Champagner nennen darf, weil er nicht aus der Champagne stammt.

Das macht Deutschlands größtem Sekt-hersteller heute aber auch nichts aus, schließlich ist die heutige Rotkäppchen-Mumm Sektkellereien GmbH in Freyburg im Besitz eines der bekanntesten Markennamen Deutschlands. Der Schaumwein aus Freyburg war im 19. Jahrhundert berühmt, um 1870 betrug die Jahresproduktion bereits 120.000 Flaschen – für damalige Zeiten viel, aber wenig, wenn man sich die heutigen Zahlen vor Augen hält: Mit all seinen Marken zusammen kommt „Deutschlands Haus aus Sekt“, wie die Freyburger ihr Unternehmen selbst nennen, auf eine Jahresproduktion von 103,1 Millionen Flaschen (Geschäftsjahr 2003).

Die Sektkellerei im malerischen Winzerstädtchen Freyburg ist im nördlichsten deutschen und auch europäischen Weinbaugebiet Saale-Unstrut eingebettet und hat sich seit der Wende zu einem echten Besuchermagnet entwickelt. Der 1893 erbaute berühmte Lichthof, eine Jugendstilhalle, ist beispielsweise den Zuschauern durch Volksmusik-Events, Konzerte und Feste bekannt und auch Deutschlands größtes geschnitztes Cuvéeholzfass im Domkeller lockt jedes Jahr über 110.000 Besucher an. Aber auch an Saale und Unstrut selbst gibt es viel zu entdecken. So dürfte auch den wenigsten (vor allem West-)Deutschen bekannt sein, dass der berühmte Turnvater Friedrich Ludwig Jahn in Freyburg beheimatet war und somit auch wohl der berühmteste Bürger seiner Stadt ist.

Das Weinbaugebiet Saale-Unstrut – auch genannt „Toskana des Nordens“ – verfügt über rund 660 Hektar Rebfläche, seit etwa 1000 Jahren wird im heutigen Sachsen-Anhalt und in Thüringen Wein angebaut, was durch eine Urkunde Kaiser Ottos III. von 998 belegt ist. Den Wein hatten ursprünglich Zisterzienser- und Benediktinermönche ins Land gebracht. Seit dem Untergang der DDR hat sich dort viel getan, 30 Rebsorten (21 Prozent davon Rotwein) werden dort überwiegend von Nebenerwerbswinzern angebaut, vor allem Müller-Thurgau, Silvaner, Weißburgunder, Dornfelder, Riesling und Raritäten wie Hölder, André oder Zweigelt. In den letzten zehn Jahren hat sich die Rebfläche verdoppelt, neue Weingüter wurden gegründet und in die Keller investiert. Die Weinstraßen Saale-Unstrut, Mansfelder Seen und die Weinroute an der Weißen Elster führen den Besucher entlang der Terrassenweinberge zu zahlreichen Weingütern, Straußenwirtschaften und Weinbauinseln.

Zeitzer Milbenkäse“ oder deftiger „Eremitenschinken“ sind die kulinarischen Spezialitäten, die von den Gastwirten der Region gereicht werden. Beliebte Ausflugsziele sind neben den Rotkäppchen-Mumm Sektkellereien hier vor allem die Klosterruine in Memleben, das Schloss Neuenburg, der Naumburger Dom, das Kloster Pforta, die Rudelsburg und der Fundort der sagenumwobenen Himmelscheibe von Nebra. Zu erkunden ist die Gegend mit allem, was das moderne Leben so bietet: Entweder sportlich wie Turnvater Jahn per pedes, per Rad – oder aber auch mit dem Auto, hoch zu Ross, mit dem Boot oder Dampfer – und nicht zuletzt auch aus der Luft, vom Flugplatz Laucha-Dorndorf aus, per Segel-, Drachenflug und Ballonfahrt. Als eine der Hauptattraktionen gilt die Neuenburg, auch die „große Schwester“ der Wartburg genannt. Im Jahr 1085 als Residenz des Landgrafen von Thüringen erbaut, Lebens- und Wirkstätte der Heiligen Elisabeth von Thüringen, ist die Neuenburg heute ein vielseitiges, sehenswertes Museum mit lebendiger Geschichtsvermittlung.

Über das Saaletal bei Bad Kösen erheben sich die Burgen Saaleck und Rudelsburg, die Region um Memleben war Schauplatz historischer Schlachten, wie beispielsweise der zwischen Franken und Thüringern im Jahr 531 oder zu Zeiten Napoleons die Schlacht von Jena und Auerstädt. Überhaupt: Mit dem Bau von Burgen, Schlössern und Kathedralen hat man es hier schon immer gehabt. Das Kloster Pforta, eines von zahlreichen Baudenkmälern, beherbergte einst die prominenten Schüler Nietzsche, Klopstock und Fichte. Die Bischofsstadt Merseburg, noch aus dem Deutschunterricht bekannt wegen der so genannten Merseburger Zaubersprüche, feiert in diesem Jahr das 1000-jährige Bestehen des Bistums. Der Naturpark Saale-Unstrut-Triasland lässt sich durch Führungen erkunden. Hier wachsen auf Muschelkalk 18 für Mitteleuropa ungewöhnliche Orchideenarten und zwölf weitere geschützte Arten wie Waldhyazinthe und Silberdistel. Die Länge der Rad- und Wanderwege an den Ufern der Saale beträgt zusammen rund 700 Kilometer.

Für besonderes Aufsehen sorgte 1999 der Fund der 3600 Jahre alten „Himmelsscheibe von Nebra“ durch Grabräuber, die als eine Weltsensation wie Ötzi oder Stonehenge gilt und nach einer mehrjährigen Odyssee über verschiedene Hehler 2002 geborgen werden konnte. Sie zeigt die älteste Darstellung  des Kosmos und der Welt in der Menscheitsgeschichte – womit sich die Archäologen von der Vorstellung verabschieden mussten, dass sich der tumbe Durchschnittsmitteldeutsche, beziehungsweise der Jungsteinzeit-Ossi nur kultur- und geistlos auf den Bäumen oder keulenschwingend auf der Jagd herumgetrieben habe – von wegen – die gesamte Kultur- und Religionsgeschichte musste umgeschrieben werden.

Vor 7000 Jahren wurde nämlich schon lange vor Schaffung der Himmelsscheibe bei Goseck, 25 Kilometer von Nebra entfernt, eine kreisrunde Sonnenwarte aus Palisaden und Gräben zur Himmelsbeobachtung errichtet. Die Tore der Anlage zeigen exakt den Stand der Sonne zur Wintersonnenwende. Vor diesem Hintergrund steht das astronomische Wissen der alten Ägypter um die Gestirne ein paar tausend Jahre später in einem nicht mehr so erhabenen Licht – die Europäer waren schon früher dran. Da soll nochmal einer sagen, Ostdeutschland sei nicht innovativ. Dafür steht auch Halle an der Saale, die größte Stadt Sachsen-Anhalts, Universitätsstadt, Kultur- und Handelszentrum. Die historische Altstadt gilt als das größte Freilichtmuseum intakter historischer Bauwerke des 19. Jahrhunderts. Zurück zum Wein: Einmalig wie die Himmelsscheibe von Nebra für die Archäologie dürfte aber auch für die Rebenkultur das so genannte Steinerne Album oder Steinerne Bilderbuch sein. Es befindet sich auf der Großjenaer Seite der Unstrut und zeigt lebensgroße Reliefs mit biblischen Szenen und mittelalterlichen Motiven rund um den Weinbau, die um 1722 in die Felsen der natürlichen Terrassenwände eingehauen wurden. In Auftrag gegeben wurde es seinerzeit vom Naumburger Juwelier Johann Christian Steinauer, der seinen Weinberg auf 150 Meter Länge mit zwölf Bildwerken verziert sehen wollte.

Direkt in der Nähe findet der Besucher den Klinger-Weinberg, wo der schon zu Lebzeiten berühmte Leipziger Bildhauer, Maler und Grafiker Max Klinger (1857 bis 1920) neben inspirierender Ruhe und Erholung später auch seine letzte Ruhestätte fand. Das Haus im Weinberg hatte er 1903 erworben, heute würdigt das so genannte Radierhäuschen mittels einer kleinen Ausstellung Klingers Lebenswerk, daneben ziert eine von ihm entworfene Plastik die eigene Grabplatte.

An den Hängen um Kleinjena herum stehen die Reben nicht nur in den Südlagen, sondern auch an Osthängen und Nordseiten, was als altes und seltenes Zeugnis dafür gilt, dass vor 150 Jahren jede Möglichkeit zum Weinanbau genutzt wurde. Überhaupt findet sich an Saale und Unstrut auch der mühselige Steilla…

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in unserer Print-Ausgabe  10/2004