Backe, backe Kathi…

Tamara Dragus im Gespräch mit Rainer Thiele

..wer will guten Kuchen machen, der muss haben eine Sache: eine Faltschachtel aus dem Hause Kathi. In Thieles Tüten geht die Post ab. Ob Naher Osten, Hongkong, Malta, Island, USA oder Australien – Millionen Erdenbürger kneten, rühren und naschen das, was den Dr. Oetker des Ostens so populär gemacht hat. Die Rainer Thiele GmbH aus Halle an der Saale ist mit ihren exklusiven Backmischungen Marktführer in den neuen Bundesländern und die Nummer zwei auf dem gesamtdeutschen Markt. 83 Mitarbeiter und eine fünfköpfige Familie entscheiden täglich, was ihnen in die Tüte kommt, und was nicht. Der Erfolg spricht für sich: 2003 krönt Bundesministerin Künast höchstpersönlich die Mandel-Stollen-Torte mit dem Spezialpreis der Centralen Marketinggesellschaft der Deutschen Agrarwirtschaft, kurz CMA. 38 weiteren Kathi-Produkten wird in diesem Jahr CMA-Gold verliehen, und alle dürfen sich ein Stück vom Kuchen abschneiden.
Üppig ist sie. Rund, sinnlich, irgendwie zum Anbeißen. Ein bisschen Botero, ein bisschen Niki de Saint Phalle. Inmitten zahlreicher Backmischungen thront die kurvige Schönheit und schmückt das Thielsche Entree. Die „Goldene Kathi“ ist Frau Thieles Fantasie entsprungen. Gemeinsam mit einer halleschen Künstlerin kreiert sie die Figur zum 50. Firmenjubiläum, und stiftet sie der IHK Halle-Dessau als Ausbildungspreis für den Jahrgangsbesten. Zusammen mit einer Prämie von 1500 Euro wird die kleine Dicke alljährlich dem erfolgreichsten Lehrling des Bezirks verliehen. Das Unternehmen tut viel für den Nachwuchs. Die Ausbildungsquote liegt bei 14 Prozent und damit weit über dem Bundesdurchschnitt. Zwei Mal schon wurde die Kathi Rainer Thiele GmbH als bester Ausbildungsbetrieb des IHK-Bezirks Halle-Dessau ausgezeichnet. Top-Absolvent im Jahr 2000 war – wen wundert’s – ein Kathi-Lehrling.
Die Pflege und Förderung nachkommender Generationen liegt dem vierfachen Vater und achtfachen Großvater Rainer Thiele besonders am Herzen: „Wer bei der Förderung des Nachwuchses versagt, braucht sich nicht zu wundern, wenn das Land ausblutet.“ Große Worte von einem, der es wirklich ernst meint. Überhaupt – Thiele ist keiner, der Dinge einfach nur so dahinsagt. Was aus seinem Mund kommt, kommt auch aus seinem Herzen. Dazu ist er zu sehr Christ. Überzeugter Christ. Leben nach der Maxime, das Beste zu wollen und seinen Grundsätzen dennoch treu zu bleiben. Nicht immer einfach für einen, der die Perfidien eines totalitären Systems volle Breitseite abbekommen hat.

Er ist 1972 dabei, 29 Jahre jung und Juniorchef im familieneigenen Unternehmen, als zwei Herren – staatsbeauftragt – das Büro des Vaters stürmen, um den erfolgreichen Betrieb binnen fünf Minuten zu enteignen. Ein Moment, der Thieles Vater das Herz bricht. Buchstäblich. Er erkrankt schwer, kann fortan nicht mehr arbeiten. Die Herren Genossen übernehmen das Kommando. Erster Schritt der neuen Führungscrew ist der Versuch, den Namen Kathi zu eliminieren. Der klinge angeblich kapitalistisch und müsse deshalb ausgemerzt werden. Pech gehabt. Die Eltern hatten sich den Namen bei der Gründung ihres Unternehmens im Jahre 1951 urheberrechtlich schützen lassen, und daran gab es auch in Zeiten des Sozialismus nichts zu deuteln.

Zweiter Schritt der Staatsdiener ist die Umbenennung der Firma Kathi in den „VEB Back-mehlwerk Halle“. Die Kürzel stehen offiziell für „Volkseigener Betrieb“, familienintern hört sich das jedoch anders an: „Vatis ehemaliger Betrieb“ wird von nun an vom Staat gelenkt. Rainer Thiele wird Werksdirektor, aber nur für kurze Zeit. Da der Junior sich standhaft weigert, der SED beizutreten, somit laut Aussage der Regimetreuen „unter gesellschaftspolitischen Verfehlungen leidet“, ist für ihn im einstigen Familienunternehmen kein Platz mehr.
Ein Freund, eine einflussreiche Persönlichkeit in der „Vereinigung volkseigener Betriebe“, kurz VVB, verschafft Thiele – Ironie des Schicksals – einen Posten bei der VVB Süß- und Dauerbackwaren, dem staatlich übergeordneten Lenkungs- und Leitungsorgan der Branche; das erste Gespräch findet im Garten statt, so wie alle wichtigen Dinge grundsätzlich im Freien besprochen werden – Alltag in der ehemaligen DDR. Fast zwei Jahrzehnte muss Thiele nun mit ansehen, wie am elterlichen Betrieb herumgewirtschaftet wird. Dann 1990, in den Wirren der Wende, ist es so weit. Rainer Thiele stellt den Antrag auf Reprivatisierung des Unternehmens und ist eineinhalb Jahre später Eigentümer und geschäftsführender Gesellschafter der Firma Kathi.

„Was ich in den Monaten nach der Wende erlebt habe, war einfach unglaublich.“ Nach dem Motto „Man sieht sich immer zwei Mal im Leben“, trifft Rainer Thiele in der so genannten Umwandlungskommission, die nach dem Mauerfall für die Reprivatisierung der Unternehmen verantwortlich zeichnet, just auf die Herren, die seine Eltern knapp zwanzig Jahre zuvor enteignet hatten. Stehenden Fußes verlässt er die Räumlichkeiten und erzwingt neue Verhandlungspartner. Stolz ist er. Beharrlich. Und unbeugsam. Im positiven Sinne. „Meine Eltern haben nie an das System geglaubt, und auch ich war mir immer…

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