Herr von Bayern

Tamara Dragus im Gespräch … Prinz Luitpold von Bayern
„Wenn ich diese Anrede höre, dreht’s mir den Magen rum”, so Martin John, Marketing Manager der König Ludwig Schlossbrauerei Kaltenberg. Doch wie begrüßt man einen echten Prinzen? „His official title is His Royal Highness Crown Prince Luitpold of Bavaria but his friends call him ,Lui‘.“ – Ehrfurchtsvolle Schauer laufen über den Rücken, liest man das Intro von Roger Protzs Bierbibel, die Seiner Königlichen Hoheit Prinz Luitpold von Bayern unter der Rubrik „Dunkel and black beers“ ein umfangreiches Kapitel widmet. In seinem Heimatland bringt es das „König Ludwig Dunkel“ auf einen Marktanteil von 50 Prozent, im Segment der Schwarz- und Dunkelbiere rangiert der königliche Gerstensaft in Deutschland auf Rang zwei.

Als die Zeiten noch schön waren und das Bier noch dunkel, da vergeudeten die Leute ihre kostbaren Stunden noch nicht mit schnödem Wasser. Am Gerstensaft taten sie sich gütlich und das reichlich. 2,2 Liter im Durchschnitt – pro Kopf, pro Tag – trank da ein jeder. Männer wie Frauen. Dass man sich in Bayern bis zur Jahrhundert wende fast ausschließlich mit dunklem Bier vergnügte, wäre beinahe in Vergessenheit geraten. Zu dominant war die Entwicklung der hellen Biersorten und in den 70er Jahren war das Dunkelbier fast ganz vom Markt verschwunden. Da bedurfte es schon eines blaublütigen Nachkommen, um eine jahrhundertealte Tradition wieder aufleben zu lassen.

Gerade mal 25 Jahre alt, mit einem abgeschlossenen Jura-Studium in der Tasche, hat der junge Prinz Luitpold, einziger Spross von Prinzessin Irmingard und Prinz Ludwig von Bayern, möglicherweise andere berufliche Ambitionen, als die eines Brauereibesitzers. Doch da auch in königlichen Kreisen das Geld zuweilen knapp wird, fällt die Entscheidung leicht. 1976 wird Seine Königliche Hoheit zum geschäftsführenden Gesellschafter der Schlossbrauerei Kaltenberg. Der elterliche Betrieb, bis dato eine kleine aber feine Hausbrauerei mit einem jährlichen Ausstoß von 15.000 Hektoliter, wird zur internationalen Spezialitätenbrauerei umgemodelt.

Erster königlicher Geniestreich ist die Revitalisierung des traditionellen Dunkelbieres, das bis heute im klassischen Drei-Maisch-Verfahren hergestellt wird. Die legendäre Bierspezialität wird binnen kürzester Zeit zum Trendgetränk und Flaggschiff des geschichtsträchtigen Familienunternehmens. Drei Jahre später, im Jahre 1979, folgen erste Auslandsaktivitäten. Die Kooperation mit Whitbread in England markiert den Beginn einer Serie von weltweit erfolgreichen Lizenzproduktionen, die sich heute besonders auf den mittel- und osteuropäischen Raum konzentriert.
Lizenzstätten sind England, Schweden, Italien, USA sowie Polen, die Ukraine und schwerpunktmäßig Kroatien.

Um die gleichbleibend hohe Qualität der Produkte zu wahren, wird dem Vertragspartner mit der Lizenzvergabe die kontinuierliche brautechnische Betreuung zugesichert, das heißt, der deutsche Braumeister wird als Kontroll- und Qualitätsinstanz „mitgeliefert“. Die königlich bayerische Erlebniswelt ist heute rund um den Globus verteilt. Als Nebenbetrieb wurde seit 1985 am Projekt einer Hausbrauereikette gearbeitet. Unter der Marke HBH entstanden in Ungarn 16 Gasthausbrauereien. 1989 wurde die Firma abgegeben und lediglich der Anlagenbau – die Hopfen und Malz GmbH – behalten. Von der Mongolei über die USA und Deutschland hat man damit zahlreiche Gasthausbrauereien errichtet. Wen wundert’s, dass das Produktionsvolumen ein Vierteljahrhundert nach Übernahme der beschaulichen Lokalbrauerei erheblich gewachsen ist.

„Da reicht ihre Zeitung nicht aus, um aufzuzählen, was er alles macht.“ Auf die Frage nach weiteren königlichen Aktivitäten kommt man aus dem Staunen nicht raus. Handelsrichter am Landgericht München ist er – just for fun. Ohne Geld und ehrenamtlich versteht sich. Mitglied bei der IHK München und Oberbayern. In seiner Freizeit bildete er junge Pferde aus und segelte mal so ganz nebenbei als Mitglied der deutschen Nationalmannschaft (von 1971-1973) über die sieben Weltmeere. Auch heute noch schippert er hobbymäßig durch die Gegend und das mit großem Erfolg. „Letztes Jahr hat nur ein halber Meter gefehlt, dann wären wir Europameister geworden.“ Bescheiden kommt das Ganze rüber. Elegant und zurückhaltend. Fast möchte man meinen, es sei ihm unangenehm, sich mit der angeborenen Selbstverständlichkeit eines Prinzen durchs Leben zu bewegen. Ob die Leute ihn mit richtigem Titel ansprechen oder nicht, scheint „Lui“ vollkommen egal zu sein, und auf den schillernden Seiten der yellow-press kann man diesen Blaublüter mit der Lupe suchen.

„Sein Privatleben schottet er total ab.“ Mit Mühe und Not entringt man ihm die Anzahl seiner Kinder („Zwei Mädchen, drei Buben“) und seinen so gar nicht standesgemäßen aber witzigen Kommentar: „Ja, ja, ich weiß. Fünf Kinder, das heißt heute adelig oder asozial.“ Seine Königliche Hoheit ist ein Mann der leisen Töne, obwohl er allen Grund hätte Laut zu geben. Immerhin ist er der Urenkel vom letzten echten König von Bayern, ist verwandt mit dem sagenumwobenen Märchenkönig und hat die bajuwarische Braukunst sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen. Ein Vorfahre seiner Dynastie, der Wittelsbacher Herzog Wilhelm IV., hat das bayerische Reinheitsgebot von 1516 erlassen. Das Monopol für Weizenbier lag über 200 Jahre bei der Familie der Wittelsbacher, im Laufe der letzten 700 Jahre besaß das deutsche Herrschergeschlecht nahezu 70 Brauereibetriebe.

„Die Geschichte der Wittelsbacher und die des bayerischen Bieres gehen Hand in Hand, und beides sollte in der Tat als Ganzes gesehen werden.“ Nicht umsonst hat Prinz Luitpold zwei Geschichts-Doktoranden engagiert, deren ausschließliche Aufgabe es ist, sich durch die akribisch geführten und umfangreich vorhandenen Archive zu kämpfen, um dabei eine erstaunliche Detailtreue zu Tage zu fördern. „Wir können heute genau sagen, was, wer, wann und wo verzehrt hat. Die haben Strichlisten geführt, die die Ess- und Trinkgewohnheiten eines jeden Einzelnen exakt dokumentieren. Das hat nicht nur historischen sondern auch statistischen Wert.“

Dass ihm Bier einfach „Spaß macht“, und er nicht müde wird, das süddeutsche Lebensgefühl über den Äther zu schicken, zeigt sein Engagement in Sachen Markenpflege. Sein „Kaltenberg Castle“ in Vail, Colorado sowie „King Ludwig’s Castle“ im Disneyland, Paris, bieten gehobenes Weißwurstflair in zünftig-luxuriösem Ambiente.
Ganz so, wie es unsere ausländischen Freunde lieben. Das eingetragene und geschützte Markenzeichen „König Ludwig“ dient als Namensvetter für die verschiedensten Produkte und so vertreibt S.K.H. Prinz Luitpold neben seinen Bierspezialitäten erfolgreich königliche Würste, königliche Zigarren, königliche Brotzeiteier und königlichen Senf. Eine royale Torte ist in Planung.

Neben der umfangreichen Produktpalette adeligen Anstrichs, ist es vor allem das „Kaltenberger Ritterturnier“, dass das Familienunternehmen weit über seine regionalen Grenzen hinaus bekannt macht. Gattin Beatrix betreut die Organisation der Festivitäten in einer eigens dafür gegründeten Tochtergesellschaft. Mittlerweile hat sich das mittelalterliche Gauklerspektakel, das im nächsten Jahr sein 25-jähriges Bestehen feiert, zum weltweit größten seiner Art gemausert. Dass an neun Tagen im Juli etwa 100.000 Schaulustige die königlichen Gefilde belagern, scheint den Prinzen dabei wenig zu stören – im Gegenteil: „Ich wollte, dass hier endlich mal was los ist.“

Ein wenig seltsam mutet diese Aussage an, angesichts des diskreten Auftretens Seiner Königlichen Hoheit und der stillen aber unmissverständlichen Art, seinem Gegenüber klar zu machen, dass die prinzliche Privat-sphäre tabu bleibt. Man nimmt es ihm in keinem Moment übel, denn so verschlossen er sich auf der einen Seite zeigt, so offen präsentiert er sich in allen Dingen, die sein berufliches Engagement betreffen. Leise Kritik am gesponserten Kultverein SC Riessersee wird laut. Die Erwartungen der Geförderten seien leider oft völlig überzogen und jedes Jahr werde ein neues Phantomkonzept gejagt. Zum Verein der „Königstreuen“ like Real Madrid möchte der aktuelle Chef der Garmischer Eisprofis seine Mannen machen, doch der Prinz schmunzelt nur und freut sich, dass die Trikots, geschmückt mit dem werbeträchtigen Wappen der Familie, die meistverkauften in der ganzen Republik sind.

Die königliche Contenance verliert „His Highness“ nur bei einem Thema: Die Wiesn, oder für alle jenseits des Weißwurstäquators, das Oktoberfest. Was als öffentliche Hochzeitsfeier seines Ur-Ur-Ur-Großvaters König Ludwig I. begann und sich im Laufe der Jahrzehnte zum weltweit größten Volksfest entwickelt hat, bleibt dem Prinzen bis heute verwehrt. „Das schreit wirklich zum Himmel. Das ist ein einziges Geklüngel hier – reine Politik, sonst nix.“ Im Klartext: Bis heute hat Prinz Luitpold keine Lizenz, sein Bier dort zu verkaufen. Ursprünglich zurückgewiesen mit der Begründung, Brauereien, die auf der Wiesn ausschenkten, müssten auch in München ansässig sein, wird sehr schnell klar, dass es eigentlich um viel mehr geht. 1983 kauft der Prinz aus eben diesem Grund eine Hausbrauerei in München. Nun dürfte, so müsste man meinen, der Genehmigung nichts mehr im Wege stehen. Doch weit gefehlt. Als prompte Antwort auf sein unternehmerisches Handeln, erhält er einen Brief der Stadt München, sie hätten es sich jetzt kurzfristig anders überlegt – ausschenken dürfe nur noch, wer seit Jahrzehnten eine Hausbrauerei im bayerischen Zentrum betreibe. „Das war reine Schikane. Da war mir klar, dass die auf keinen Fall wollen, dass wir dort vertreten sind.“ Was seitdem tobt, ist ein beispielloser Kleinkrieg, in dem das Recht – auch das moralische – zweifelsohne auf der königlichen Seite liegt, die Macht jedoch woanders. „Damals hab ich mit dem Stauder gewettet, dass ich’s innerhalb von fünf Jahren schaffe, die Zulassung zu bekommen. Der Verlierer musste mit einer Maß Bier von Fürstenfeldbruck nach München laufen.“ – Fünf Jahre später sieht man Seine Königliche Hoheit mit einem Maßkrug durch die Lande pilgern, mit ihm 2000 Fans und Gleichgesinnte. Voran geht dieser Bier-Prozession ein 20facher Antrag an diverse Ämter und Behörden – eine organisierte Demonstration musste angemeldet werden, und das im Freistaat Bayern… Als Prinz Luitpold und Konsorten dann endlich in der Hauptstadt einlaufen, verweigert ihnen die Wiesn-Polizei den Eintritt. Da brennt dem Prinz die Sicherung durch. Aufgrund massiven Polizei-einsatzes brechen bei Mensch und Tier Panik aus – die königlichen Pferde streiken, die Kutscher auch. Die Volksfest-Gendarmerie bezieht königliche Dresche von den königlichen Droschkern, das Chaos ist perfekt. Als es zu ersten Verhaftungen kommt, stellt sich Luitpold (seinem Namen als „Kühner des Volkes“ alle Ehre machend!) mannhaft vor seinen Trupp. „Mich können’s zuerst mitnehmen, ich trage hier die volle Verantwortung.“ Einen Hochwohlgeborenen in Handschellen zu legen, traut sich dann doch keiner. Das Ende vom Lied sind zweihundert Mark Strafe, drei Punkte in Flensburg und eine kostenlose PR, die ihresgleichen sucht. Vom „Prügel-Prinzen“ zu sprechen wäre allerdings weit gefehlt, und es bleibt zu hoffen, dass diese Geschichte eines Tages doch noch ihren königlichen Ausgang findet.