Ein Typ zum Pferdestehlen

Tamara Dragus im Gespräch mit Bernd Hillebrand
Seine wahre Liebe gilt den Tieren und der Landwirtschaft. Während andere ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen auf dem Golfplatz nachkommen, zieht er es vor, auf seinem Trecker durch die Gegend zu kutschieren. Als Herrscher über fünf Hektar Land, zehn Pferde und unendliche Weite, hat sich Bernd Hillebrand, geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensgruppe Wüllner in Bielefeld, einen Traum erfüllt, um den man ihn einfach nur beneiden kann.

Umgebauter Bauernhof am Rande der Stadt. Das hat man schon gehört. Doch was man hier zu sehen bekommt, verschlägt einem schlichtweg die Sprache. Es ist so, als hätte Gott die Erde geküsst. Eine paradiesische Enklave, aus der alles Laute, Hässliche und Hektische verbannt wurde. Wer hier wohnt, der ist sogar traurig, wenn er zum Einkaufen muss. Kein Zufall, dass sich dieses Kleinod am Rande der „Großstadt im Grünen“ befindet.

In Bielefeld bestehen über 60 Prozent der Gesamtfläche aus Wäldern, Parks und Grünanlagen. Wem es vergönnt ist, Herrn Hillebrand in sein privates Idyll zu folgen, den wundert es wenig, dass dieser Mann in den fast dreißig Jahren seiner Tätigkeit nicht ein einziges Mal laut geworden zu sein scheint. „Manchmal wünscht man sich fast, dass er mit der Faust auf den Tisch haut“, so der Kommentar einer Mitarbeiterin, die ihn seit zehn Jahren begleitet. Sanftmütig ist er, ruhig – beinahe stoisch. Ein Mensch, den nichts aus der Fassung bringt. Als einziger von vier Geschwistern, steigt er 1975 in das Unternehmen ein, das fünfzig Jahre zuvor von den Großeltern Maria und Richard Wüllner gegründet wird. Zunächst noch ein kleiner Bierverlag, entwickelt sich das Bielefelder Unternehmen bald zum eigenen Abfüllbetrieb für alkoholfreie Getränke. Mit hausgemachter Limonade, Sinalco-Lizenz und dem Hauptumsatzträger „Dortmunder Ritter Bier“, nimmt die erfolgreiche Geschichte der Wüllner-Gruppe ihren Anfang. Hineingeboren in einen Familienbetrieb, der heute mit einem Gesamtumsatz von 185 Millionen Euro zu einem der führenden der Getränkebranche zählt, steht für Bernd Hillebrand schnell fest, welchen Weg er gehen wird. „Ich hab mit fünf schon Kisten sortiert, da war eigentlich klar, was ich später mal mache.“

Nach Wirtschaftsabitur und Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann, arbeitet er für ein Jahr als kaufmännischer Angestellter bei Steinicke & Weinling in Hamburg. Seine zukünftige Frau weilt zu dieser Zeit auf Amrum, um im Mutterhaus der Bodelschwinghschen Anstalten Bethel, Europas größter diakonischer Einrichtung, ihrem sozialen Engagement zu frönen. Bernd ist reif für die Insel. Um in unmittelbarer Nähe seiner Auserwählten nächtigen zu können, verbringt er die Wochenenden im Zelt – so lautet zumindest die offizielle Version für den strenggläubigen Schwiegervater in spe.

Nach Volontariatszeit und anschließendem Betriebswirtschaftsstudium an der Fachhochschule, steigt er als 25-jähriger in das Unternehmen ein. Beinahe zeitgleich erschließt sich auf dem firmeneigenen Betriebsgelände eine Quelle ungeahnten Reichtums: Auf der Suche nach Grundwasser stößt man auf hochwertiges Mineralwasser – Die Geburtsstunde des Carolinen-Brunnens, der heute mit einer Gesamtabfüllmenge von 230 Millionen Litern und 350 Millionen Füllungen Rang 18 unter den größten deutschen Mineralbrunnen einnimmt. Nach seinem Eintritt in das Unternehmen, ist Bernd Hillebrand zunächst für Gastronomie und Verkauf verantwortlich, 1982 avanciert er zum geschäftsführenden Gesellschafter. Trotz prallem Terminkalender und diverser berufsbezogener Ehrenämter (Beiratsmitglied des Verbands des Getränkefachgroßhandels Nord- und Westdeutschland e.V.; Stellvertretender Vorsitzender des Beirats des Bundesverbandes des Deutschen Getränkefachgroßhandels e.V.; Beiratsmitglied im Verein Pro Mehrweg), findet der 53-Jährige seine wirkliche Erfüllung in der Natur. „Papas großes Hobby ist die Landwirtschaft. Wenn der auf seinem Unimog sitzt, ist die Welt in Ordnung“. Wenn Ann-Kathrin von ihrem Vater spricht, beginnen ihre Augen zu leuchten. „Für ihn gilt: Ein Mann, ein Wort!“ Verlässlich sei er, ehrlich und gutmütig bis zum Umfallen. „Das nervt schon manchmal.“

Seit kurzer Zeit arbeitet Ann-Kathrin, jüngster Spross der Hillebrandschen Sippe, im Unternehmen mit. Als gelernte Bank- und Immobilienkauffrau, hatte sie zunächst Bedenken, in den väterlichen Betrieb einzusteigen, doch das Gefühl, frei wählen zu können, hat ihr die Entscheidung leicht gemacht. „Die Kinder sollen erst woanders ihre Sporen verdienen und dann können sie immer noch schauen. Ich würde nie jemanden zwingen, hierher zu kommen.“

Hillebrands sprichwörtliche Toleranz ist sicherlich mit ein Grund dafür, dass das Verhältnis zu seinen Töchtern so harmonisch ist. Wirklich ambitioniert das Elternhaus zu verlassen, war keine von beiden, obwohl es Carolin, die Ältere, momentan nach Leipzig verschlagen hat. Als Marketingassistentin in Deutschlands bekanntester Sportwagenschmiede ist sie die einzig „Abtrünnige“. Ann-Kathrin hingegen plant schon jetzt den Umbau des Nachbarhauses auf dem elterlichen Anwesen und beschwert sich leise, dass Freund Jens, seines Zeichens Landschaftsgärtner, heute schon mehr Zeit mit seinem zukünftigen Schwiegervater verbringt als mit ihr. Dass Hillebrand ein Einzelgänger ist, merkt man schnell. Dinge, die ihn wirklich bewegen, scheint er mit sich auszumachen. Auch sein soziales Engagement spielt er lieber herunter, als es an die große Glocke zu hängen. Fast beiläufig erfährt man von einem Flug nach Chile und dem Besuch eines Wohnheims für Straßenkinder, dessen Bau die Firma mitfinanziert hat.

Als Mitglied im Tierschutzbund, rettet er Pferde vor dem Schlachthof oder plant komplizierte Spiegelkonstruktionen, aus Furcht, der Nachbarshund könne unter die Räder kommen. Wer dabei ist, wenn er in Anzughose und Markenschuhen durch den Mist stapft, um seine Vierbeiner zu begrüßen, weiß, dass dieser Mann noch nicht einmal einer Fliege ein Haar krümmen könnte. „Der untrüglichste Gradmesser für die Herzensbildung eines Menschen ist, wie er die Tiere betrachtet und behandelt.“ – Frei nach Auerbach, wird diese Ideologie im Hause Hillebrand vertreten und gelebt. Wen wundert’s, dass einem sogar auf dem Gang durch das Firmengelände ein Hahn entgegenstolziert, der zwischen unzähligen Kisten sein selbst gewähltes Zuhause gefunden hat.

Wenn er nicht gerade eigenes Futter für die Pferde herstellt, einen sensiblen Vollblüter reitet oder mal schnell eine Hütte für den neuen Wallach hochzieht, sieht man Herrn Hillebrand vielleicht mit einer Horde indischer Jugendlicher durch Bielefeld ziehen. In seiner Funktion als „old-tabler“ zeigt er auch hier unermüdlichen Einsatz hinsichtlich Wohltätigkeit und Weltverbesserung. Die „old-table“-Organisation entspringt der „round-table“-Verbindung, einer in England gegründeten Vereinigung, die Männer aus unterschiedlichsten Berufsgruppen versammelt, sich aber weniger elitär als andere Einrichtungen dieser Art präsentiert. Bernd Hillebrand ist frei von jedem Dünkel. Bezeichnet er jemanden als „rustikal“, so darf man das als Kompliment verstehen, und man weiß, was gemeint ist, wenn seine Kinder von ihm sagen, er sei der Typ zum Pferde stehlen. Das Bodenständige mag er vom Vater geerbet haben, der eigentlich gelernter Klempner war, bevor er 1947 in das Unternehmen einheiratete. Nicht umsonst schraubt Bernd mit Vorliebe alte Autos auseinander oder baut sich nebenbei einen eigenen Campingwagen, der aussieht wie ein überdimensionaler LKW mit mysteriösem Innenleben.

Da er berufsbedingt genug in irgendwelchen ungeliebten Hotelzimmern nächtigen muss und seine Frau in kein Flugzeug bewegen kann, tuckern die beiden am liebsten mit ihrem monströsen Gefährt durch die Weltgeschichte. Technische Pannen, wie ein gerissener Keilriemen, werden spontan behoben, indem man die Gattin bittet, sich ihrer Strumpfhose zu entledigen. Anekdoten wie diese erfährt man natürlich nicht von ihm selbst, sondern von der Tochter, die in diesem Zusammenhang vom genialen Improvisationstalent ihres Vaters schwärmt. Nur in einem Bereich scheinen das handwerkliche Geschick und der kreative Pragmatismus eines Bernd Hillebrand jäh zu versagen: Als er der Familie ein weihnachtliches Überraschungsmenü kredenzen möchte, steht binnen kürzester Zeit die Küche in Flammen.

Dass er früher ein richtiger Draufgänger gewesen sein soll, der sich wilde Verfolgungsjagden mit der Polizei geliefert hat, weiß er heute geschickt zu verbergen. Doch manchmal hat er so ein Blitzen im Blick, und man bekommt dieses Stille-Wasser-sind-tief-Gefühl, und man ahnt, dass er der Typ ist, der alles versteht und alles verzeiht. Fast alles.