Der „Kallemann”

Tamara Dragus im Gespräch … mit Karl-Heinz Johnen

von Tamara Dragus

Wie stellt man sich den Chef einer Firma vor, in der sich alles um frische Früchtchen, süße Cremes und unwiderstehliche Kalorienbömbchen dreht? In der einen Gerüche empfangen, die an Kindheit, Weihnachten und all das erinnern, was einem das Dasein angenehm und lebenswert erscheinen lässt? Man stellt ihn sich so vor. Karl-Heinz Johnen passt. Passt wie die Faust aufs Auge an die Spitze eines Unternehmens, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Dinge herzustellen, die einem das Leben versüßen.

Mächtig seine Erscheinung, raumfüllend sein Gebaren. Einen wie ihn nennt man jovial, einen wie ihn kann man nur mögen. „Er ist irgendwie laut“ – eine der zahlreichen Charakterisierungen, mit denen ihn seine rechte Hand zu beschreiben sucht und mit der man vor der ersten Begegnung nichts wirkliches anzufangen weiß. Erst wenn sich seine Präsenz durch unüberhörbare Schritte auf dem Gang ankündigt, weiß man, was gemeint ist. Den „Kallemann“ – so nennen ihn seine Mitarbeiter – hört man, bevor man ihn sieht. Und wenn man ihn sieht, hört man ihn. Er ist kein Mann für die stillen Momente im Leben. Eher einer, der das Herz auf der Zunge trägt, der geradeheraus sagt, was er denkt und mit seiner Meinung nicht hinterm Berg hält. Charmant, bodenständig, sinnenfroh.

Bei einem wie ihm erübrigt sich die Frage nach seinem Gemütszustand. „Ich hab meistens gute Laune, es gibt auch keinen Grund, schlecht gelaunt zu sein.“ So einfach ist das. Ein Strahlemann ist er, ein Sonnyboy. Um kein Kompliment verlegen, doch nie anbiedernd. Sein Repertoire an blumigen Titulierungen lässt die Augen der ihn umgebenden Damenwelt aufleuchten und macht so manche Arbeitsanweisung zum puren Geschenk. „Könntest du mir das mal schnell abtippen, mein Apfelschnittchen?!“ – Wer kann dazu schon nein sagen… Doch Johnen ist kein Chauvi. Man spürt, dass er die Frauen respektiert. Auch wenn er meint, er müsse nun eigens für diese Spezies Mensch einen Joghurt kreieren, den er „mystisch auflädt“. „I have the idea of a women’s yoghurt. Don’t laugh at me now“, tönt es durch die Muschel, als er seiner spanischen Kollegin seine neueste Kreation präsentiert. Und in seinen Worten schwingt ein kleines bisschen Unsicherheit mit, denn eines weiß der Johnen – ob ihnen ein mystisches Milchprodukt zu ihrem Glück fehlt oder nicht, entscheiden letztendlich nur die Frauen selbst. Das Kreieren ausgefallener Produkte scheint eine Spezialität von ihm zu sein. In Kalles Köpfchen entstehen permanent neue Ideen, bewährte Ranges werden mit Vorliebe relaunchiert. Das Ganze am besten einen Tag vor dem Beginn einer wichtigen Messe. Zur Freude seiner Mitarbeiter, die er mit dieser persönlichen Marotte gehörig auf Trab hält.

Nein, die Samthandschuhe hat er nicht erfunden und allzu zartbesaitet sollte man nicht sein, wenn man für ihn arbeitet. Auf alle Fälle aber flexibel, arbeitswillig und an erster Stelle – offen. Da kennt er kein pardon. Wohnt man einer Audienz beim „Marzipankönig“ bei, merkt man schnell, wie menschlich die Beziehung zu seinen Untergebenen ist. Da thront er HB schmauchend inmitten einer stattlichen Anzahl Modellautos hinter Glas. Karl-Heinz lässt bitten. Empfängt jeden seiner Mitarbeiter mit „Was gibt es, mein Sohn?“, doch das alles meint er nicht wirklich ernst und der Schalk in seinen Augen verrät den liebenswerten Souverän, der alles sein möchte, nur kein Furcht einflößendes Autoritätspaket. Beim Kallemann kann und soll jeder sagen, was er denkt und fühlt, solange es direkt und ohne Umschweife rübergebracht wird. Karl-Heinz Johnen schätzt die klare Kommunikation. Geschwätz und aufgeblasenes Gerede sind ihm ein Gräuel.

Wer ihm so kommt, wird gnadenlos niedergebügelt. Menschen wie er besitzen eine natürliche Autorität. Eine Autorität, die ihm schon in die Wiege gelegt wurde, von der er sich aber nur allzu gerne distanziert. Auf keinen Fall möchte er den autokratischen Führungsstil seines Vaters (Zitat des Seniors: „Ich bin für die Demokratie, in der einer bestimmt“) mit dem seinen verglichen wissen. Auf Fragen nach möglichen Parallelen hinsichtlich der John’schen Führungsqualitäten reagiert er ungehalten. Geht zu wie eine Auster, um in der nächsten Sekunde wieder sein spitzbübischstes  Lächeln aufzusetzen. Die stille Präsenz eines dominanten Vaters scheint der einzig wunde Punkt im vermeintlich unerschütterlichen Selbstvertrauen des K. H. Johnen. Dabei zeigen sich nicht nur im Lebenslauf der beiden einige Parallelen. Auch charakterlich scheinen sich Vater und Sohn nicht ganz unähnlich. In ihrer Liebe zur Direktheit, ihrem bodenständigen Pragmatismus und ihrer unbedingten Entscheidungsfreudigkeit sind sie – im wahrsten Sinne des Wortes – aus einem Holz geschnitzt. Vielleicht ist es der klassische Vater-Sohn-Konflikt, der überall dort auftritt, wo zwei gleich starke Individuen aufeinander treffen, deren Persönlichkeitsentwick-lung unter unterschiedlichen Bedingungen stattgefunden hat. Die Zeiten haben sich geändert, die Ideen, Wünsche und Ziele auch. Wo frühere Generationen mit Restriktionen und patriarchalischen Strukturen arbeiten mussten, ist heute Liberalität und Mitspracherecht angesagt.
Zum Chef ist dennoch nicht jeder geboren. Im John’schen Gen jedoch ist der Wille und die Fähigkeit, als Leitwolf zu fungieren – das heißt, Menschen zu führen, Verantwortung zu übernehmen und neue Wege zu beschreiten – fest verankert. „Geplant hab ich gar nix“, so Karl-Heinz Johnens Antwort auf die Frage nach seinem Lebenslauf, der darauf ausgerichtet scheint, die Erfolgsgeschichte des Vaters fortzuschreiben. Am 26.12.1960 in Remscheid geboren (Kommentar einer Mitarbeiterin: „Er ist halt ein echtes Christkind“), absolviert er – wie sein alter Herr dreißig Jahre zuvor – eine Banklehre und tritt nach einjährigem Praktikumsaufenthalt in den USA in das Unternehmen ein, das der Vater in jungen Jahren zum Erfolg geführt hatte. Seinerzeit von Dr. Franz Zentis sen. Als freier Handelsvertreter engagiert, gewann der damals 20jährige Heinz Gregor Johnen zunehmend an Einfluss in der Firma, der er mit eiserner Disziplin und einer gehörigen Portion Unternehmergeist aus der Krise half. Johnen ist Zentis und Zentis ist Johnen. Deshalb fungiert der Senior auch heute noch als „graue Eminenz“ im Hintergrund, den Kampf an der Front überlässt er seinem Sohn.

Der steigt im Jahre 1993 zunächst als stellvertretender Geschäftsführer in das Unternehmen ein, wird drei Jahr später zum Hauptgeschäftsführer berufen und führt den im Jahre 1893 von Franz Zentis gegründeten Familienbetrieb seitdem erfolgreich weiter. Direkt, geradeaus – „straight ahead“, wie der Engländer sagen würde – all das zeichnet den Mann an der Spitze eines international anerkannten Unternehmens aus, das heute mit rund 1.500 Mitarbeitern und einem Gesamtumsatz von 550 Millionen Euro zu den weltweit führenden seiner Branche zählt. Tendenz steigend.

„Bei ihm weiß man immer, wo der Hammer hängt“, darin sind sich alle einig, die mit ihm zusammenarbeiten. Doch weiß man das wirklich immer?!  Gibt es nicht noch eine andere, verborgene Seite – einen „Kallemann intim“ sozusagen? Es gibt sie. Es ist die Seite, die sich hinter Ironie und spitzbübischem Charme versteckt hält. Die ausweicht, wenn Fragen auftauchen, die möglicherweise entlarvend sein könnten und festlegen auf ein Bild, dem man nicht entsprechen möchte. Die überhaupt irgendwie festlegen. Karl-Heinz Johnen ist ein Mann mit vielen Gesichtern. Auf der einen Seite bewegt er Millionen, auf der anderen Seite ist er der zu groß gewordene Junge, der in einer freien Minute gerne mal die Festplatte heißlaufen lässt. Auch beim virtuellen Autorennen bleibt er die Nummer eins. „Ihre größte Schwäche?“ – „Ich habe keine“. Sagt’s, grinst breit und da sieht man ihn plötzlich vor sich: wie er als Fünfjähriger im Fond des väterlichen Wagens sitzt, um den Herrn Papa auf seinen erfolgreichen Vertretertouren durch die deutschen Lande zu begleiten.

In den Händen ein Mickymaus-Heftchen, im Mund eine weiche Marzipankartoffel. Den Kopf gebettet auf ein Kissen, das dreißig Jahre später sein Büro schmücken wird. Darauf steht in großen Lettern: „Ich Chef, du nix“.

Aber so einer wird er ganz bestimmt nie!