Heurigenstimmung auf Deutschland-Tour

Das Weinland Österreich im Jahr 2002 – Folge Zwei

von Wilfried Moselt

Dass die Österreicher vom Wein eine Menge verstehen, haben wir bereits in Folge I unseres Beitrags über Österreich festgehalten. Vom Wein, vom Kochen und natürlich von galanter Höflichkeit. In dieser Ausgabe wollen wir uns (nach Niederösterreich im ersten Teil) mit dem Burgenland, der Steiermark und der Weinbauregion Wien befassen und uns zugleich österreichische Weine ins Glas holen, zum Beispiel die, die in der Verkostungsliste am Ende des Beitrags aufgeführt sind. Und für alle, die den ersten Teil des Berichts über Österreich und seine Weine nicht gelesen haben, sei noch einmal auf die Folgen einer solchen Probe hingewiesen: Es mag geschehen, dass man anfängt, von Wien zu träumen, vom nicht endenden Strauß-Walzer über den historischen Gemäuern, von den klappernden Hufen der Rosse vor den Fiakern mitten im Verkehrsgewühl und vom ewigen Wiener Charme. Küss die Hand, gnä’ Frau, meine besondere Verehrung! San’s herzlich willkommen, der Herr Doktor und die hochverehrte Gattin, bitt’schön. Oanen großen Braunen und oan Viertel vom “Wiener Spezial”? Ja, bitte gern, die Herrschaften. In Grinzing dürfte es derweil schrammeln, wo sich der Moser Hans krächzend durchs erinnernde Besucherhirn nuschelt.
Wer es bei dem Gedanken an Österreich weniger mit Almen und Après-Ski hat denn mit Weingenuss unter Weinfreunden an langen Tischen in verträumten Höfen, bringt alle Voraussetzungen mit, das Burgenland und die Steiermark ins Herz zu schließen. Nicht in einem ungestümen Schwall der Gefühle, wie sie die bezaubernde Wachau hervorruft, nein, eher diskret und zögerlich, wie es einer Begegnung mit herben Schönheiten zuweilen eigen ist. Er wird sich spätestens auf den zweiten Blick verlieben, zum Beispiel in Rust, die wunderbare Stadt der Störche und der Weine am Neusiedlersee. Er wird nicht umhinkönnen, das beinahe schon mondäne Podersdorf, das fast noch paradiesische Illmitz und die vielen anderen lauschigen Orte im stillen Seewinkel östlich des Sees kennen zu lernen.
Unverzeihlich leichtfertig wäre es auch, das malerische Pöttelsdorf, das gepflegte Mörbisch, das majestätische Eisenstadt und all die übrigen einladenden Dörfchen und Städtchen zu Füßen des Leithagebirges westlich des Sees nicht zu besuchen. Gar als grob fahrlässig wäre einzustufen, sich von der mancherorts noch unberührten Idylle und den allerorts köstlichen Rotweinen des Mittel- und Südburgenlands nicht verführen zu lassen – ganz zu schweigen von der Steiermark, dem Garten Eden Österreichs zwischen Bergen, Hügeln und Wein, mit der charmanten Hauptstadt Graz, ihren winkeligen Gassen und einer überschäumenden Kultur, wo sich nicht nur die Einheimischen, sondern auch die Urlauber aus Deutschland so herrlich geborgen fühlen. Zum Schluss schließlich soll die Rede von Wien sein, der besonderen Metropole dieser Welt, von der man schwärmt, auch wenn man niemals dort war. Wien, das ist unnachahmliches Ambiente, das sind Prater-Riesenrad und Heurigenspaß mit Zitherklängen vom dritten Mann, schnieke Philharmoniker und herzige Sängerknaben, das schief-ebene Hundertwasser-Haus, die geschichtsträchtige Hofburg und weiße Lipizzaner samt Zentralfriedhof, wo verblichene Prominente wie Johann Strauß Vater und Sohn, Johannes Brahms, Franz Schubert und – nach seiner Umbettung vom Wiener Währinger Friedhof im Jahr 1888 – auch der berühmte Bonner Ludwig van Beethoven oder in jüngerer Zeit Hans Moser, Curd Jürgens, Helmut Qualtinger, Fritz Eckhardt und viele andere mehr die ewige Ruhe inter pares zu schätzen wissen.

Das Weinbaugebiet Neusiedlersee am Nordrand des Sees (Parndorfer Platte) und östlich des Sees, im so genannten Seewinkel, ist das größte Weinbaugebiet des Burgenlandes. Auf den Südhängen der Parndorfer Platte, die vorwiegend durch Löss- und Lehmböden gekennzeichnet ist, gedeihen bestens unter anderem dichte Rotweine. Der Seewinkel wiederum, wo sich auf Sand- und Schwarzerdeböden in weitgehend flacher Puszta-Landschaft Weingarten an Weingarten reiht, ist mit seinem durch die vielen kleinen Seen (Lacken) geprägten Kleinklima, das die Edelfäule begünstigt, vor allem für edelsüße Weine der Spitzenklasse berühmt.

Nichtsdestoweniger sind aber auch die hier erzeugten trockenen Weißweine mit reichlich Schmelz und die finessenreichen, kompakten Rotweine beachtenswert. Unter dem Einfluss des pannonischen Klimas hält der Frühling im Seewinkel eher Einzug als im übrigen Österreich, und abseits der großen Verkehrsströme kann man hier in den ausgedehnten Naturschutzgebieten Flora und Fauna im Übermaß genießen und zum Beispiel die scheuen Großtrappen bei ihrer Balz in freier Wildbahn beobachten oder sich über den “Gänse-Strich” im Herbst freuen, wenn riesige Gänsegeschwader aus Graugänsen, Bläss- und Saatgänsen vor ihrem Weiterflug nach Süden auf dem Wasser der “Langen Lacke” zwischenlanden.

 

Die Niederschlagsmengen im Weinbaugebiet Neusiedlersee-Hügelland am Westufer des Neusiedlersees, dem Weinbaugebiet mit der ältesten Weinbautradition des Burgenlandes, liegen deutlich über denen am Ostufer. Sie sorgen zusammen mit den geologischen Gegebenheiten an den Süd- und Osthängen des Leithagebirges, auf den Ruster Hügeln und im Wulkatal und dank der vielfältigen Bodenformationen, die von Gneis- und Glimmerschiefer- gestein über Löss und Schwarzerde bis zu Sand- und Lehmböden reichen, für optimale Voraussetzungen, um ein breites Spektrum ausgezeichneter Weiß- und Rotweine hervorzubringen.

Hier trifft man auf Weinbaugeschichte in nahezu jeder Ortschaft, und Kultur ist allgegenwärtig, so zum Beispiel in der Landeshauptstadt Eisenstadt mit dem prächtigen Schloss und der historischen Altstadt. Unbedingt besuchenswert ist auch die idyllische Freistadt Rust unmittelbar am See, aus der der Ruster Ausbruch stammt, eine der ältesten, urkundlich belegbaren Weinappellationen im Donauraum. Ausbruchweine sind aus überreifen, edelfaulen und rosinenartig eingeschrumpften Beeren gekelterte Weißweine mit einem Mostgewicht von ca. 139-155° Öchsle, hohem Extraktgehalt, einer ausgeprägten, harmonischen Säure und einem deutlichen Botrytiston. Der Ruster Ausbruch zählt seit Jahrhunderten zu den großen edelsüßen Weinen Europas.

 

Das dritte Weinbaugebiet des Burgenlandes, das Mittelburgenland, trägt nicht umsonst den Beinamen Blaufränkischland. Denn der Blaufränkisch ist hier seit alters die traditionelle bodenständige Rebsorte und bringt auf den überwiegend schweren lehmigen Böden die österreichweit besten Exemplare dieses tiefroten tanninreichen Weines hervor.

Die Weinberge, die sich von den Südhängen des Ödenburger Gebirges bis zum Günser Bergland erstrecken und im Westen durch die Höhen der “Buckligen Welt” geschützt werden, sind zu annähernd drei Vierteln mit Rotwein bestockt. Durch die nach Osten hin offene Landschaft, die im Mittelburgenland schon deutlich hügeliger ist als am Neusiedlersee und zusammenhängende Waldformationen aufweist, kann das warme pannonische Klima ungehindert wirksam werden, was dem Reifeprozess der Trauben förderlich ist.

Den Blaufränkisch-Weinen aus dem Mittelburgenland, zumal solchen, die aus den Kellern der gestandenen Weinbaubetriebe in Deutschkreuz, Horitschon, Neckenmarkt und Lutzmannsburg stammen, kann reinen Herzens bescheinigt werden, zu den großartigsten Rotweinen zu zählen, die dem Weinfreund begegnen mögen – zum Beispiel Weine von 80 Jahre alten Rebstöcken, wie sie im Mittelburgenland noch gelegentlich anzutreffen sind, die bei ausgesprochen geringen Erträgen Spitzenqualitäten ins Glas bringen.
Die fast noch unberührte ländliche Idylle “Südburgenland”, das kleinste Weinbaugebiet des Burgenlandes mit “Dauer-Sichtkontakt” zur Grenze nach Ungarn, bietet beschauliche Ruhe in verträumten Weinorten, in denen die Zeit langsamer fortzuschreiten scheint als anderswo. Die Weinberge sind an den Südhängen des Geschriebensteins und im Pinkatal gelegen und weisen häufig schwere, eisenhaltige Lehmböden auf, was gerade dem Blaufränkisch eine besondere Würze verleiht. Es waren übrigens nicht die Burgen, die dem Burgenland bei der Namengebung Pate standen – von denen gibt es gerade mal eine Hand voll, die im südlicheren Burgenland angesiedelt sind. Es waren vielmehr die westungarischen Komitate Eisenburg, Ödenburg und Wieselburg, von denen der größte Teil des deutsch- sprachigen Gebiets 1919 im Frieden von Saint-Germain-en-Laye Österreich zugewiesen wurde und aus deren Namensendungen 1920 der Name “Burgenland” gebildet wurde. Österreich nahm das Burgenland 1921 in Besitz, wobei aber die Stadt Ödenburg (heute Sopron) nach einer – im Ergebnis umstrittenen – Volksabstimmung vom 14. Dezember 1921 bei Ungarn blieb.

Die vollständige Redaktion finden Sie in unserer Print-Ausgabe 6/7/2002