Liebe Leser, in dieser Kolumne kommen Sie zu Wort. Schreiben Sie Viktor, er wird auch niemanden verraten. Großes Ehrenwuff!

Viktor

Die Kinder der Anderen

Als Hund von Welt bin ich den Genüssen dieser Erde sehr zugetan. Dabei stehen gutes Essen und angenehme Getränke bei mir an erster Stelle. Das Trockenfutter aus der Tüte dient nur zur täglichen Sättigung und zum Erhalt meiner schlanken Linie. Nicht zu vergleichen mit den Genüssen in einem noblen Feinschmeckerrestaurant.

Ein schöner Schweinebraten, ein leckeres Schnitzel, Rehkeule oder zur Krönung eine fette Gänsebrust, sind ein absoluter Hochgenuss. Waren früher unsere Besuche in diesen Tempeln der Genüsse regelmäßig an der Tagesordnung, so sind diese in letzter Zeit nicht nur sehr spärlich geworden, sondern  sogar ganz eingeschlafen. Natürlich mache ich mir so meine Gedanken darüber, warum man mir kulinarische Genüsse vorenthält. Dank meines enormen Selbstvertrauens weiß ich, dass ich nicht der Grund für die neuerdings sparsame Haltung meiner Familie bin. Liegt es etwa an den Kindern anderer Leute, die man dort immer gelangweilt antrifft, die lieber einen Teller Nudeln oder Pommes rot-weiß hätten, als diesen dekorierten Kram auf ihren Tellern und vor lauter Langeweile nur Unfug im Restaurant treiben? Mir den Finger in die Nasenlöcher zu stecken, ist da noch das kleinste Übel. Das Buffet neu mit den kleinen Fingern umdekorieren oder durch lautes Schreien auffallen wird da schon mit mehr Aufmerksamkeit der Gäste quittiert. Schlimm sind die Racker, die mit dem Essen Muster auf die Tischdecken malen oder im Lokal zwischen sauer lächelnden Kellnern Fangen spielen. Arme Wirte, müssen sie das doch fast jeden Tag ertragen, wollen sie ihre Einnahmequelle nicht verlieren. Wer so arg geprüft wird, den kann eigentlich nichts mehr umhauen.

Trotz all dieser Gastfreundschaft und der unendlich antrainierten Geduld sind die Lokale heute nur noch spärlich besucht. Auch wir haben, wie bereits erwähnt, unsere Genüsse dort weitgehend eingestellt. Obwohl – und das bedauere ich sehr – es mir immer vorzüglich gemundet hat. An den Speisekarten kann es nicht liegen, stehen da doch unverändert die gleichen Gerichte darauf. Die Preise sind die gleichen geblieben. Beim besten Willen fällt mir nur eine kleine Änderung auf der Preistafel auf – und das ist ein neues Zeichen, dass ich noch nicht so genau kenne: „€“. Ob das wohl etwas mit der ausbleibenden Gästeschar zu tun hat?

 

Euer Viktor