Der Wohlstand kommt langsam

Bulgarien auf dem Weg nach Europa

Text und Fotos: Martin Joest

Bulgarien ist immer eine Reise wert. Besonders, seit von jeder Reise Neues und Fortschritte zu vermelden sind – unterstützt von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), getrieben von dem Vorhaben, wieder in die Mitte der Europäischen Nationen zurückzukommen. So haben die Weinproduzenten, allesamt aus ehemals staatlichen Firmen hervorgegangen, privatwirtschaftliche Höchstleistungen vollbracht. Ein Zusammenhalt und ein Firmenzugehörigkeitsgefühl sind überall zu spüren. So sind auch große Erzeuger fast wie Winzer geführt, da jeder im Betrieb für seine Firma arbeitet.

Wohl auch deswegen, weil ein sicherer Arbeitsplatz in Bulgarien nach der Crash-Umwandlung von Staatswirtschaft zur Marktwirtschaft noch keine Selbstverständlichkeit ist, ganz bestimmt aber auch aus dem Gefühl heraus, an etwas Großem teilzuhaben. Die unbestritten hohe fachliche Qualifikation auf der einen, die  Behinderung durch Planwirtschaft auf der anderen Seite, hat die Stagnation im qualitativen Bereich einen jeden wohl besonders frustriert. So sollte aber nicht unerwähnt bleiben, dass die Produktivität im Kommunismus ihren Höhepunkt mit 202.700 Hektar bewirtschafteter Rebfläche und 3.740.000 Hektoliter Wein im Jahr 1968 erreicht hatte. Die Fläche hat sich auf 97500 Hektar reduziert.

Die Gründe der Flächenreduzierung liegen im Wegfall der Handelspartner im Osten (hauptsächlich Russland) und der auf Menge und nicht auf Qualität ausgelegten Produktion, die im Weltmarkt so keine Abnehmer fand. Die Erholung liegt im langsam greifenden Aufbau von Wirtschaftsbeziehungen und dem wachsenden Vertrauen der Verbraucher in bulgarische Weine und deren Bekanntheitsgrad. Hier soll nicht der  Eindruck erweckt werden, dass man dort ein Ziel bereits erkennen könne oder gar erreicht hat. Vielmehr sind Erfolg versprechende Anfänge gemacht. Wenn in der Gastronomie ein bulgarischer Wein empfohlen wird, ist nicht mehr damit zu rechnen, dass der Gast ihn im Vorfeld der Verkostung schon ablehnt. Wenn in einer Weinrunde das Gespräch auf bulgarischen Wein kommt, ist Interesse zu erkennen – „Was gibt’s neues?“. Das ist für den bulgarischen Wein sicher schon ein gewaltiger Schritt. Das Ziel sollte aber sein,  dass von den Weinfreunden gezielt bulgarischer Wein im Fachhandel gesucht und in der gewünschten Qualität gefunden wird.

Die Voraussetzung für den Kauf von Qualitätswein im Fachhandel ist, das er auch produziert und importiert wird. Um dieses zu fördern und zu unterstützen ist unter anderem die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit in Sofia tätig. So werden einige ausgewählte Musterbetriebe gefördert, um hohen und höchsten Ansprüchen des Weltmarktes gerecht zu werden. Diese Betriebe sollen der Branche als Vorbild dienen und durch Nachahmung den Standard anheben. So werden auch keine Großbetriebe gefördert, da diese über genügend Eigenressourcen verfügen, um alle Aspekte der Weinproduktion der Außendarstellung und des internationalen Vertriebs sicherzustellen oder diese zuzukaufen.

Auch wird bei der Kreditbeschaffung enorm geholfen, was in Schwellenländern eine besondere Herausforderung ist. Von den fünf momentan in der Förderung der GTZ befindlichen Betrieben konnten drei im Rahmen einer Presse- und Handelsreise besucht werden. Die Reihenfolge der Beschreibungen ist keine Wertung, sondern entspricht der Besuchsreihenfolge. Jeder Betrieb für sich hat einen einzigartigen Weg gemacht, um der neuen wirtschaftlichen Situation zu begegnen. Slaviantzi, Dorf, Weingut und Regionenbezeichnung in einem, liegt am östlichen Rand des Rosentals, etwa 80 Kilometer von Burgas am Schwarzen Meer entfernt.

Das Weingut fällt als Schmuck-stück in einem eher trostlos daherkommenden Dorf sehr positiv auf. Jede Ecke aufgeräumt, alles gefegt und geharkt. Und das, obwohl alles Alte noch steht und am Neuen noch gearbeitet wird. Man spürt auf Schritt und Tritt, dass die Belegschaft sich mit ihrem Betrieb identifiziert und den Sinn ihres Lebens im Weinmachen sucht – sicherlich ein Erfolg der Eigentumsverhältnisse. Der einzige Arbeitgeber im Dorf ist auch im Besitz der Bewohner. So wurde der Betrieb von den Arbeitern bei der Privatisierung übernommen und somit konnte die Risikogröße durch enormes Eigeninteresse der Belegschaft minimiert werden. Ein Betriebskonzept allein und Sauberkeit bei der Vinifizierung können allerdings noch keinen guten Wein hervorbringen oder gar wirtschaftlichen Erfolg. Die hierzu erforderlichen Trauben verdanken die Betreiber von Slaviantzi der Lage am Fuße der Balkanausläufer und moderatem Kontinentalklima sowie auch dem Vorhandensein autochthoner Rebsorten. Hier ist in der Verkostung die weiße Rebsorte Misket aufgefallen, die von den Weinmachern mit einer ordentlichen Aromenvielfalt und einer leichten Säure ausgestattet wurde.

Die Weine im allgemeinen wussten zu gefallen und entsprechen einem sehr gutem internationalen Standard, wie die Verkaufserfolge insbesondere in England, dem Hauptmarkt für bulgarische Weine im Ausland, zeigen. Der zweite Betrieb, in der thrakischen Ebene, konnte eigentlich nur in Form von Gegend und  Wein begutachtet werden. Der Keller ist eine Baustelle, die erst im nächsten Jahr eine vorzeigbare Produktionsstätte darstellen wird. Um so beeindruckender ist der Wein, der uns von der Thracian Winery Company Pamidovo, aus der Nähe von Plovdiv präsentiert wurde. Hier tat sich ebenfalls eine einheimische Rebsorte hervor. Der Mavrud ist ein Roter mit starkem Charakter der eine lange Lagerzeit verlangt und sicherlich in Cuvées der Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird. Diese Rebsorte wurde bislang nur am Nordrand der Rodopen erfolgreich kultiviert – Versuche andern Orts schlugen alle fehl. Wir konnten eine Rebfläche von Pamidovo mit Mavrud bestockt besichtigen und erleben, welche Sorgfalt auf Rebschnitt und Pflege der Reben gelegt wird.

Der Eigentümer des Betriebes, Stoyan Dimitrov, ist ein gutes Beispiel für einen Einzelunternehmer, der mit kleinen flexiblen Einheiten operiert und einiges bewegt bekommt. Insbesondere ist der Kreativität weniger in den Weg gelegt als bei großen Entscheidungsgremien. So konnte Dimitrov uns mit einigen Sondercuvées, aber auch mit speziellen Flaschenausstattungen überraschen. Die dritte Weinkellerei liegt im Südwesten, einen Steinwurf von der griechisch-bulgarischen Grenze entfernt. Hier entstehen in einem erst 1997 privatisiertem Staatsbetrieb die geschichtsträchtigsten Vorzeigeweine Bulgariens. Diese Weine sind schon von Homer beschrieben worden. Sicher sind da eher Süßweine gemeint gewesen, dazu später noch, aber die Rebsorte dürfte Shiroka Melnishka Loza gewesen sein. Diese autochthone Rebsorte, auch kurz Melnik genannt, ist die Kernaussage dieser kleinsten Weinregion Bulgariens. Aus einem heute noch schwer bewachtem Grenzgebiet hat der Betrieb Damianitza einen Wein nach seiner Herkunft benannt: No Men’s Land. So einprägsam der Name ist, so unvergleichlich ist dieser Rotwein. Eine weit reichende internationale Anerkennung konnte er bereits erfahren.

Die Anerkennung vergangener Tage wurde so beschrieben: „Wein aus Melnik ist so dickflüssig, dass man ihn in einem Tuch davontragen kann.“ Einen solchen Wein durften wir aus dem Jahre 1964  verkosten. Ein Wein, den es nur noch gibt, weil diejenigen, die vorsorglich für die neuen Investoren Platz im Keller geschaffen hatten, keine Verwendung für Süßwein hatten.

Nach vier Tagen in eindrucksvoller Landschaft und unter strebsamen Winzern bleibt nur noch der Ausblick auf die Zukunft. Aus bulgarischer Sicht ist der Beitritt in die EU das gelobte Land und die Lösung aller Probleme. Für jemanden, der nur zwei Autostunden von Brüssel entfernt lebt, erscheint das  als  Problemlöser eher unwahrscheinlich. Eine andere Sichtweise ist vielleicht einleuchtender: der heutige Wohlstand  Bulgariens erinnert sehr an die sechziger Jahre in der BRD. Das Auto war wichtiger, als Essen gehen. Der eigene Garten war noch Lebensmittellieferant und nicht Zierwiese. Aber die Ansätze des Wandels sind spürbar. So ist eine spärliche Pflanze gehobener Gastronomie in Sofia erkennbar. Die Spitzenprodukte der bulgarischen Winzer sind im eigenen Land schnell vergriffen. So wie die Inlandsnachfrage durch Wohlstand steigen wird, wird der Bedarf nach eigenständigen bulgarischen Qualitäten zunehmen.

Ein Export aus einem stabilen Heimmarkt heraus braucht den Marketingdruck von außen nicht. Er entwickelt sich von allein. Und so wird es nicht verwundern, genau die Weine bei Schlumberger gelistet zu finden, die auch in Bulgarien mehr als genug Käufer haben.