Wo geht’s lang an der Mosel?

von Wilfried Moselt

Im Weinparadies dräut Ungemach. Ungemach für die Freunde der großartigen Weine von den Steilhängen an Mosel, Saar und Ruwer. Denn ein Nivellierungs-Virus ist auf dem besten Wege, sich im schönsten Weinbaugebiet unter der Sonne einzunisten, eingeschleppt von bekannten und unbekannten “Weinpäpsten”, deren Lieblingsvokabel der “internationale Standard” ist.

Anfällige Jungwinzer sind bereits da und dort infiziert und reden der Abkehr von den leichten, fruchtsäurebetonten Weinen das Wort, die doch so einzig in der Welt sind. Rauf im Alkohol und runter in der Säure, das soll wohl die neue Devise sein, die unter dem Strich nichts anderes bedeutet als den Verlust der Identität eines herausragenden Weinbaugebiets mit wunderbaren Rieslingen, die Leichtigkeit, Frucht und Säure in unnachahmlicher Weise in einen genussreichen Einklang bringen. Eine unerquickliche Neuzeit der Weinerzeugung scheint hier eingeläutet. Lassen Sie mich an dieser Stelle eine Begebenheit einflechten, liebe Weinfreunde, die sich vor Jahresfrist in einem renommierten Hotel in Brüssel zugetragen hat. Wir trafen uns nach drei Verkostungstagen als Mitglieder einer internationalen Jury zum Abschlussbankett in einem der Festsäle des Hotels.

An dem großen Tisch, an dem ich meinen Platz gefunden hatte, saßen ein halbes Dutzend Kollegen von der Presse und mehrere Önologen. Sie kamen aus Belgien, den Niederlanden, Dänemark, Frankreich, Italien, den USA, Kanada, Chile, Südafrika, Australien und Japan. Ich war der einzige Deutsche in der Runde. Als es um die Auswahl der Weißweine ging, war der Trend recht eindeutig. Kalifornischer Chardonnay sollte es sein, dazu ein Chablis (der bekanntlich aus Frankreich kommt) und ein australischer Sémillon. Ein deutscher Wein war nicht im Angebot. Eine Vorsprache beim Sommelier bescherte mir schließlich einen deutschen Riesling, den ich nach einem Probeschluck auch meinen Tischnachbarn zur Verkostung empfahl. Die anfängliche Skepsis auf den Gesichtern wich einer gewissen Fassungslosigkeit. Das sollte ein Wein aus Deutschland sein, wo es doch nur langweilig weiche und entsetzlich süße Weine gibt? Das Glas mit dem kalifornischen Chardonnay wurde zur Tischmitte gerückt, den Chablis und den Sémillon vergaß man vollends. Der Kellner wurde gebeten, von dem deutschen Wein Nachschub zu liefern. Er brachte eine zweite Flasche von diesem herrlichen halbtrockenen säurebetonten, fruchtigen Mosel-Riesling, den auf einmal jeder am Tisch trinken wollte.

Eine dritte Flasche gab es nicht. Die Bestände des Nobelhotels an deutschen Weinen waren mit den beiden geleerten Exemplaren erschöpft. Ich denke, diese Geschichte bedarf keines weiteren Kommentars. Wo aber soll es nun langgehen an der Mosel? Unerquickliche Erfahrungen in Weingütern, die sich zunehmend verpflichtet fühlen, dem als Journalist enttarnten Besucher eingedenk irgendwelcher ominöser internationaler Standards tunlichst die alkoholreichsten Weine mit möglichst milder Säurestruktur einzuschänken, stimmen besorgt. In einem Strom unterzugehen, in dem das Geschmacksbild zu einer “Einheitslinie” mit beliebig austauschbaren Weinen gerät, kann nicht als erstrebenswertes Ziel gelten, schon gar nicht an der Mosel mit ihren extremen Steillagen, wo die natürlichen Gegebenheiten Ausnahmeweine hervorbringen, wie man sie sich nicht besser wünschen mag.

Es ist erstaunlich, wie unbekümmert man bereit ist, eine besondere Identität aufzugeben, die die Rieslinge von Mosel, Saar und Ruwer gegenüber allen Weinen der Welt auszeichnet, anstatt den Nischencharakter dieser Köstlichkeiten hervorzuheben und ihn auf der internationalen Weinbühne in Szene zu setzen. Mir würde er schrecklich fehlen, der leichte, rassige, säurebetonte, wunderbar fruchtige Mosel-Riesling, von dem es gerne die eine oder andere Flasche mehr sein darf.

Die vollständige Redaktion finden Sie in unserer Print-Ausgabe 12/2001