Strategische Markenführung beginnt bei der Packung

Nicht allein der Inhalt zählt

von Richard Gehlen

“Products are made in a factory and brands are made in mind”, so lautet der Kernsatz von Dr. Ulrich Bernhard, Leiter Unternehmenskommunikation von Bayer. Seiner Ansicht nach werde das Markenbild von einer Vielzahl von Kontakten mit der Marke beeinflusst. Hier stellt sich nun die zentrale Frage: Wann ist eine Marke eine Marke? Oder anders formuliert: Wann wird aus einem Produkt eine Marke? Für die Agentur für Markenführung FGK beginnt eine Marke nach ersten virtuellen, sprich visuellen und akustischen Kontakten durch die Werbung dort zu leben, wo sie zum ersten Mal real auf den Konsumenten trifft: umhüllt in der Packung im Regal, am Point of Sale – exakt in jenen Sekundenbruchteilen, in denen sich entscheidet, ob sich die Investition in die Kommunikation gelohnt haben oder nicht.

Doch genauso wenig wie aus einem Produkt aus den Wünschen des Herstellers heraus eine Marke wird, wird aus einer Produkt-Umverpackung eine dreidimensionale Marken-Präsentation. Auch die Verantwortlichen in der Getränke- und Lebensmittelindustrie wissen um die Schwierigkeit, ein Produkt einerseits attraktiv andererseits nutzwertig zu gestalten. Der Begriff “Packung” an sich ist irreführend und stammt aus Zeiten, in denen Produktumhüllungen nicht viel mehr waren als Transportschutz und Behälter in einem. Moderne Packungen dagegen sind vielschichtiger – Flaschen, Dosen und Tetrapacks sind heutzutage sehr viel mehr als nur Behältnisse für Getränke. Dass sie nach den geltenden Vorschriften im Sinne des Umweltschutzes und Lebensmittelrechts gestaltet sowie nach den Vorgaben von Logistik und Handel optimiert sein müssen, ist keiner großen Diskussion wert. Wohl aber die Frage, wie aus einer Produkthülle eine Markenoberfläche wird, welche die Assets einer Marke und deren Kommunikation aufnimmt, verstärkt und konsumentengerecht präsentiert. Denn nichts ist schlimmer als eine Packung, auf der die Hersteller wie bei Anzeigen alle Informationen auf einmal unterbringen wollen und dabei das vergessen, was die Marke eigentlich ausmacht: ihre Uniqueness, ihr Appeal.

Nur: Was macht die Uniqueness und den Appeal einer Marke aus? Nicht gemeint, ist das, was in Marketingplänen so nett mit USP umschrieben ist. Das sind meist jene Faktoren, von denen ein Unternehmen meint, dass die Konsumenten sie schätzen würden oder zumindest müssten. Nur: Was suchen die Kunden wirklich? Was schätzen sie? Was wollen sie überhaupt? Warum nehmen sie die eine Marke und lassen die andere im Regal? Diese Fragen bewegen die ganze Branche, denn deren Antworten entscheiden über Erfolg und Misserfolg jeder marketing-kommunikativen Investition. Dieser eine Griff in Bruchteilen von Sekunden, in denen das Gehirn des Käufers den Greif-Befehl an die Arm- und Handmuskeln erteilt, verkürzt die Phase von Produktforschung bis Vermarktung fast auf Nullzeit. Dieser Sekundenbruchteil und nicht die durchschnittliche Betrachtungsdauer einer Printanzeige oder die Zappingquote bei TV-Sendern entscheidet über Erfolg und Misserfolg einer Marke.

Unternehmen, die es genau wissen wollen, vertrauen auf eine strategische Kaufprozess-Analyse, um alle Kommunikationsmaßnahmen – beginnend bei der Packung – richtig aufeinander abzustimmen. Diese Analyseform gibt Antworten auf Fragen wie “Wie genau läuft der Kaufprozess ab?, “Wodurch wird der Kaufprozess wirklich ausgelöst? “Wie oft wird gekauft?” “Welche Faktoren nehmen Einfluss auf den Kaufprozess?” und vor allem: “Welche Rolle spielen Verkaufsförderung, Kommunikation, Medien, Produkterfahrung, Freunde und Szenen und der Point of Sale mit Platzierung und Packung?”

Analysen, die im Rahmen morphologischer Untersuchungen erstellt wurden, machen deutlich, dass Packungen im Kaufprozess-Bogen eine sehr viel wichtigere Rolle spielen als Unternehmen und Agenturen bisher angenommen haben. Hier hilft nur morphologische Forschung. Denn quantitative statistische Modelle versagen kläglich, weil sie selten oder nie neue Ansätze abbilden können. Grund 1: Das Novum an sich ist schon Grund genug für Ablehnung. Grund 2: Die Befragungssituation verfälscht nach dem Heisenbergschen Unschärfeprinzip jede Befragung. In der Morphologie dagegen geben ausgebildete Psychologen nach Gruppendiskussionen mit der oder den Zielgruppen Trend- und Stil-Aussagen, die sehr exakt zur Optimierung einer Kommunikationsstrategie und einer darin integrierten Packungslinie eingesetzt werden können.

Betrachtet man morphologische Wirkungsanalysen von Packungen, erkennen Markenspezialisten schnell, warum das so ist. Denn jede Packung löst im Betrachter eine untrennbare Dualität aus positiven Eindrücken und so genannten Gegenbewegungen aus. Psychologen vergleichen diese Matrix, die für jede Kommunikation – ob nun Packung, Anzeige oder TV-Spot – erstellt werden kann, mit einem Pendel: Je besser das Verhältnis von Eindrück-en und Gegenbewegungen austariert ist, desto besser wird die Packung in der Kaufprozessanalyse reüssieren. Verwunderlich indes wäre es, wenn eine optimal designte Markenoberfläche keine einzige Gegenbewegung auslösen würde: Das spräche für eine absolute Spannungslosigkeit.

“Eine Flasche mit Flügeln, beflügelnd-prickelnder Sekt, ein Inspirationssymbol”, so bewertet das Trendbüro Hamburg in einer umfassenden Markenkernanalyse auch die Rotkäppchen-Flasche und besonders das Etikett als Element der Leichtigkeit: “Es ist aufsteigend wie Phönix aus der Asche.” Beim Entschlüsseln und Interpretieren der kulturellen Zeichen, die eine Marke aussendet, wird innerhalb einer semiotischen Analyse immer die gesamte Markenidentität betrachtet…

Die vollständige Redaktion finden Sie in unserer Printausgabe 10/2001