Zwischen Skylla und Charybdis

Wettbewerbsverständnis der EU läßt der Verpackungsverordnung wenig Raum
für Getränkemehrweg-Förderung – Ministerin Merkel will Lizenzmodell erhalten

von Timur Dosdogru

Die Novelle der Verpackungsverordnung wird wohl noch einige Zeit auf sich warten lassen. Eine Einigung zwischen Bundesregierung und SPD scheint vorerst nicht in Sicht, wie sich in Bonn bei einer Diskussionsveranstaltung des Kuratoriums Duales System Deutschland zeigte. Marion Caspers-Merk (SPD), Mitglied des Bundestagsumweltausschusses, meinte, die SPD sei bereit, über die Novelle zu reden, “aber die Bundesregierung muß uns auch ein Stück weit entgegenkommen”.

“Drama in fünf Akten”

Allein Gesprächsbereitschaft für die Zukunft wurde von allen Seiten signalisiert. Damit wird das “Drama in fünf Akten”, wie es der Vorsitzende des DSD-Kuratoriums Jürgen Walter nannte, in die nächste Runde gehen.
Den ersten “Akt” machte Walter an der Verabschiedung des Abfallgesetzes 1986 fest, dessen gültiges Ziel in der Abfallpolitik nach wie vor die Vermeidung, Verwertung und sichere Entsorgung bedeute.
Als zweiten Punkt nannte er die 1991 verabschiedete Verpackungsverordnung, mit der anstelle der öffentlichen Hand Industrie und Gewerbe in die Pflicht genommen worden seien.
Drittens sei dann das Duale System für die Logistik zur Sammlung, Sortierung und Verwertung von Verpackungen gegründet worden.
Viertens stehe man heute nach jahrelangen Streits und Diskussionen vor deutlich veränderten Grundvoraussetzungen: die Müllberge seien so drastisch zurückgegangen, daß man schon für unausgelastete Deponien und Müllverbrennungsanlagen möglicherweise neues Material suchen müsse.
Besonders dramatisch sei fünftens die derzeitige offene Situation, in der die Länder das Prinzip der Produktverantwortung und das Ziel einer Kreislaufwirtschaft umzusetzen versuchten.
Bundesumweltministerin Dr. Angela Merkel merkte dazu an, daß sich die Diskussion im Gegensatz zu den 80er Jahren “versachlicht” habe. Am Lizenzmodell will Merkel festhalten. Die ihr entgegenschlagende Ablehnung Betroffener ficht sie nicht an, gleichzeitig will sie aber “andere vorstellbare Instrumente” nicht aus den Augen verlieren.

Duales System von Trittbrettfahrern befreien

Stünde man außerdem nicht zum Verursacherprinzip, so die Ministerin, sei die Abfallpolitik dem Bürger nicht mehr zu vermitteln. Zudem werde das Duale System durch “Trittbrettfahrer” belastet. “Die müssen weg”, stellte Merkel klar. Es könne nicht angehen, daß mit der derzeit geltenden Verordnung zwar einzelne Hersteller und Vertreiber zwar grundsätzlich zur Rücknahme verpflichtet seien, aber im Gegensatz zum Dualen System keine Effizienz der Erfassung und Verwertung nachweisen müßten.
Der Wettbewerb müsse gefördert werden, aber mindestens auf DSD-Standard, um die Kostensenkungspotentiale für das System besser zu nutzen. Es stehe außerdem fest, daß man in absehbarer Zeit zu einer eigenständigen Regelung für Getränkeverpackungen kommen müsse.
Ein Systemwechsel habe in der Novelle keinen Raum, außerdem sei man in Brüssel von der Mehrwegquote nicht begeistert.
“Bei den Getränkeverpackungen stehen wir zwischen Skylla und Charybdis”, bemühte die Ministerin einen mythologischen Vergleich. Einerseits sei die Stärkung von Mehrweg gefragt, andererseits heiße es dann seitens der EU “Was ihr da macht, hat mit Wettbewerb nichts zu tun”. Ein Eckpunkt der Novellierung sei daher die Anpassung einiger Begriffe an die EG-Verpackungsrichtlinie und das neue Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz. Als Beispiel nannte Merkel die Abgrenzung zwischen Transport- und Verkaufsverpackungen sowie die Vorgaben für die stoffliche und energetische Verwertung. Neu in der Verordnung sei außerdem die Verpackung schadstoffhaltiger Füllgüter, deren Hersteller ab 1999 geeignete Rücknahmemöglichkeiten schaffen müßten.
Bei den neuen Verwertungsanforderungen müßten die Probleme der praktischen Umsetzung beseitigt werden. Schwierigkeiten habe beispielsweise in der Vergangenheit die bundeslandbezogene Ermittlung von Erfassungs- und Sortierquoten für Verkaufsverpackungen bereitet, künftig solle es eine einheitliche Verwertungsquote geben.
Das Thema, welches der geplagten Ministerin bei der Novelle besonders am Herzen liegt, ist die Förderung ökologisch vorteilhafter Getränkeverpackungen. Desweiteren will sie keinesfalls ausländische Abfüller von Mehrwegquote und Zwangspfand befreien.
Die vom Ministerium in Auftrag gegebenen Studien hätten ergeben, daß die derzeit geltende Mehrwegschutzquote von 72 Prozent, sowohl aus abfallwirtschaftlichen als auch aus gesamtökologischen Gründen gerechtfertigt sei, weshalb die Novelle am bisherigen Pfandpflicht-Instrument im Falle der Unterschreitung des Mehrwegbestandes von 1991 festhalte.
Allerdings berücksichtige die Novelle auch eine getränkespezifische Betrachtung, die einzelne Getränke im Falle einer Erfüllung der Mehrwegquote von der Rücknahme- und Pfandpflicht ausnehmen könne. Damit könne die Bepfandung auf Getränke mit einem besonderen Einwegzuwachs beschränkt werden.

Ökobilanzen sind “Gesellschaftskrimi”

Aufgrund der günstigen Ökobilanzen von Schlauchbeutelverpackungen aus Polyethylen für pasteurisierte Konsummilch habe man in diesem Fall von einer Schutzquote für Mehrwegglasverpackungen abgesehen. Kritik an diesen Ökobilanzen ließ die Ministerin nicht gelten: Ökobilanzen seien eine Art Gesellschaftskrimi. Es sei schon amüsant, sich anzusehen, daß manche Milchproduzenten beispielsweise mehr über das Befüllen von Bierflaschen wüßten.
Jetzt seien die Bundesländer gefragt, eine einheitliche Vorlage zur Diskussion zu stellen. “Ich mußte mich schließlich auch monatelang bemühen, um in der Regierung einen Konsens zu erzielen”, klagte Merkel.

SPD: “Kein Systemwechsel”

Diesen vermißte auch die SPD- Bundestagsabgeordnete Caspers-Merk, die monierte, daß zwei Jahre lang drei Millionen Mark ausgegeben worden seien, um halbwegs über die Ökobilanzen von Milch- und Bierverpackungen Bescheid zu wissen; das sei die “Ouvertüre” des Dramas. In den Jahren von 1997 bis 1982 sei der Mehrweganteil von 83 Prozent auf 72 Prozent gesunken, “wo er jetzt herumdümpelt”. Die Selbstverpflichtung der Industrie habe nicht gegriffen, insofern sei die Verpackungsverordnung erfolgreich gewesen. Aber: die jetzige Unterstützung von Mehrweg in der Verpackungsverordnung sei nicht ausreichend, außerdem könnten Umweltverbände und Opposition zuwenig mitbestimmen und es fehle an Transparenz. Durch die Milchschlauchbeutel-Konstruktion würde die Mehrwegquote nur aufgeweicht. Die SPD wolle keinen Systemwechsel, stellte Caspers-Merk klar, die Mehrwegquote müsse in jedem Fall beibehalten werden – mit einer Mehrwegverordnung für die Standardisierung der Gebinde.

Für jede Verpackung eine eigene Kommission?

Daß der Riß quer durch die Fraktionen geht, zeigte sich auch an Dr. Gerhard Friedrich, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion, der sich gegen das Merkel-Lizenzmodell aussprach: “Abgaben sind besser.” In dieser Frage seien sich ursprünglich auch die Länder einig gewesen. Friedrichs kernig formulierter Vorwurf an die Industrie “es gibt zu viele Schicki-Micki-Verpackungen” brachte ihm die Antwort, er wolle das Parfüm für seine Frau ja auch nicht “in der Fischkonserve nach Hause tragen”, ein.
Da sei wohl was dran, konterte Friedrich, aber man könne doch nicht noch mehr Kommissionen für jede einzelne Verpackung beschäftigen und übte sich in Verzweiflung: “Mit wem soll ich denn eigentlich überhaupt noch darüber verhandeln? Der Eine will dies, der Andere will das, der Nächste will gar nicht.”
DSD-Kuratoriumsvorsitzender Walter warnte indes vor dem Glauben, eine deutsche Kommission werde jemals im Rahmen der Europäischen Union über die Verwertbarkeit beispielsweise einer französischen Getränkeflasche entscheiden kšnnen.
Ministerin Merkel zeigte Unverständnis über die Ablehnung der Novelle durch den Umweltausschuß des Bundesrates. Daß selbst im Kreise der Ablehner keine Einigkeit über konstruktive Alternativen bestehe, werde den drei Jahre währenden intensiven Gesprächen der betroffenen Wirtschaftskreise, Umwelt- und Verbraucherverbänden, sowie den kommunalen Spitzenverbänden und Ländern nicht gerecht.

Verpackungsnovelle nicht um jeden Preis

Die bereits oft genannten wichtigen Anliegen der Länder seien in der Novelle aufgegriffen worden, ein Scheitern der Novelle berühre diese stärker als das Bundesumweltministerium. Die geltende Regelung sei nicht so schlecht, daß man nicht mit ihr leben könne. Merkel: “Eine Novelle um jeden Preis wird es mit mir nicht geben.”