Getrunken wird immer — aber was ? Getränke in Westeuropa: Schwierig, aber zum Jammern kein Anlaß

von Monika Busch

Nicht nur beim Bier verschieben sich die Gewichte — weltweit steigt der Bierkonsum, jedoch nicht in den klassischen Märkten (siehe Titelthema) — sondern bei den Getränken insgesamt. Das alte Sprichwort “Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen” hat unverändert Gültigkeit, jedoch erfüllen Getränke heute nur selten allein den Grundnutzen des Durstlöschens.
GfK Panel Services zieht nun Bilanz über den Zustand und die Zukunft von Bier, Wasser, Wein und Co. Laut GfK-Mitteilung befürchten manche gar, daß Westeuropa zum Museumsmarkt oder zu einem Experimentierfeld herabsinken könnte, wo zwar Trends erfunden werden, nicht aber echtes Geld gemacht wird. Die jüngsten Zahlen von GfK Panel Services dokumentieren, daß der Wettbewerb der Getränkearten untereinander härter wird. Die Getränkearten sind nicht mehr über den Grundnutzen zu vermarkten, sondern über den jeweiligen Zusatznutzen, beispielsweise Gesundheitswelle oder Genuß.
Gefragt sind also neue Ideen, abgestimmt auf das Verbraucherverhalten für eine erfolgreiche Vermarktung. Insbesondere die gesellschaftlichen Veränderungen sind ein großer Indikator für Getränke. Das neu entdeckte Gesundheitsbewußtsein der Verbraucher bescherte den alkoholfreien Getränken Zuwächse, die Entwicklung des Sektmarktes korrespondiert mit der Entwicklung des Wohlstandes. Die Fernurlaubsreisen, welche mittlerweile zum Standard gehören, forcieren den Erfolg exotischer Getränke.
Jedoch, der Durst der Verbraucher sichert eine Vielzahl von Arbeitsplätzen in der Getränkeindustrie, Handel und Gastronomie — von wegen Museumsmärkte. Die 15 Länder der Europäischen Union mit ihren rund 370 Millionen Konsumenten sind nach wie vor eine wirtschaftliche Großmacht, trotz Strukturanpassungen und Gejammer über Rezession. Laut Prognose DIW 1996 soll das Bruttoinlandsprodukt in der EU um 2,4 Prozent in diesem Jahr steigen. Demnach wird der private Verbrauch 1,5 Prozent über den Vorjahreswerten liegen. Die deutschen privaten Haushalte haben 1995 mehr als 40 Milliarden Mark für Getränke ausgegeben, ohne Berücksichtigung des Außer-Haus-Verzehrs. Allerdings, die meisten Märkte befinden sich in einer Sättigungsphase und der Konkurrenzkampf ist überall knallhart geworden.
Ein deutliches Nord-Süd-Gefälle wurde von GfK Panel Services bei den Getränkevorlieben ausgemacht. Im Norden Europas sind die Biertrinker, im Süden die Weinliebhaber zu Hause. Doch diese Traditionen vermischen sich zunehmend. In den klassischen Biermärkten Deutschland und Dänemark steigt der Weinkonsum merklich, in Frankreich und in der Schweiz geht er dagegen zurück. Den stärksten Zuwachs an Bierkonsum hatte Italien. Zwischen 1990 und 1995 tranken die Italiener 17 Prozent mehr Bier. Gleichwohl beträgt der Pro-Kopf-Konsum hier nur etwa ein Fünftel von dem in Deutschland.
Auch ist ein europaweiter Trend auszumachen: weniger Alkohol schafft mehr Lebensqualität. Trotz Rückgang des Alkoholkonsums ist bei den “Schnapsdrosseln” die Reihenfolge unverändert: Frankreich vor Spanien und Deutschland. Der Konsument will mit Innovationen bei “Laune” gehalten werden. Deshalb steigt der Innovationsdruck, der Lebenszyklus von Innovationen wird immer kürzer.
Sonderangebote allein sind für den Konsumenten keine Kaufanreize mehr, sondern das “Neue”. Trendprodukte haben auch in rückläufigen Märkten gute Chancen. Wer will schon ein oller Obstler-Typ sein, wenn andere mit Wodka-Feige die Show abziehen? Trinken ist ein menschliches Grundbedürfnis. Wer weniger alkoholische Getränke zu sich nimmt, steigt eben um. Die Neugier der Verbraucher, gekoppelt mit dem wiederentdeckten Gesundheitsbewußtsein schaffen den “neuen Getränkesegmenten” freie Bahn. 500 Millionen Liter oder 4,2 Prozent entfallen bereits heute auf Teegetränke, Wässer mit Zusatz oder functional drinks
. Fazit: Traditionelle Märkte ohne neue Impulse haben es in Westeuropa derzeit schwer. Pfiffige Ideen, echte Produktinnovationen und kreatives Marketing sind gefordert, um den Verbraucher “bei der Stange” zu halten. Frischen Wind in den Getränkemarkt bringt jetzt eine um bis zu 40 Prozent gewichtsreduzierte Leichtglasflasche. Das Startzeichen für das neue Gebinde erfolgte jetzt durch die Genossenschaft Deutscher Brunnen (GdB). Ein Schritt, der durch die Glasindustrie sehr begrüßt wird.
Geboten wird künftig diese Mehrwegflasche als 1-l-Flasche im Sechser-Modulkasten für Mineralwasser und Limonaden. Hersteller der neuen Mehrwegflasche mit dem Namen Geracote ist die Gerresheimer Glas AG in Düsseldorf: “Die Entscheidung der GdB, die beschichtete Leichtglas-Mehrwegflasche einzuführen, ist ein wichtiger Schritt für Verbraucher, Industrie und Handel, den wir nachdrücklich begrüßen”, kommentierte Burkhard Lingenberg, Leiter Marketing der Gerresheimer Glas AG.
Ein wesentlicher Vorteil der Geracote-Flasche ist, daß keine hohen Zusatzinvestitionen anfallen, da die neue Flasche auf allen vorhandenen Abfüllinien eingesetzt werden kann. Das neue Gebinde, der 6-Liter-Kasten bringt auch nur noch 10 kg auf die Waage.

Genuß ja — aber Vorfahrt für die Gesundheit
Die Käuferschicht der “jungen Alten”

Ein weiterer Trend ist auszumachen bezüglich der Käuferschichten. Entdeckt wurden nun die “jungen Alten”. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung liegt hier ein erhebliches Potential.
Schon heute ist jeder Dritte in Deutschland über 50 Jahre alt; prognostiziert wird, daß es im Jahre 2030 jeder Zweite sein wird. Verstärkt geht mittlerweile die Industrie auf die Bedürfnisse der “Senioren” ein. Erwartet werden wohlschmeckende, gesunde und kalorienarme Getränke, die aber Lebensfreude vermitteln.
Denn Senioren sehen sich nicht als “Alte”. Sie wollen allenfalls Produkte, welche auf sie abgestimmt sind. Qualität und Genuß sind die Kriterien für die Kaufentscheidung. Langweilige Schonkost und Heilwässer ziehen nicht mehr. Geschmack und Abwechslung sowie gesunderhaltende und gesundheitsfördernde Wirkungen der Getränke haben Priorität.
Genußvolles und gesundes Trinken ist angesagt. Die alkoholfreien und Light-Biere stagnieren. Nur kalorienarm trifft auf Verbraucherfrust.
So sind die wahren Vorreiter für ein gemeinsames Europa die Konsumenten. Sieht man einmal von der Schweiz (wo immer viel Geld war) sowie Portugal, Griechenland und Irland (wo nie viel Geld war) ab, dann liegt die Kaufkraft in Europa nicht mehr weit auseinander. Westeuropa wächst immer mehr zu einem sehr kompakten Markt zusammen. Anders als beispielsweise die USA, wo zum Teil ausgeprägte regionale Unterschiede bestehen. Im Unterschied zur Kaufkraftentwicklung sind die kulturellen Eigenheiten in Europa aber noch recht groß, gerade wenn es um Essen und Trinken geht. Jedoch, die Einkaufsgewohnheiten nähern sich weiter an.
Der Handel ist dafür ein mächtiger Katalysator. Im westeuropäischen Lebensmittelhandel stieg in den vergangenen Jahren die Konzentration erheblich. Rund 900 Milliarden Mark setzten 1995 die 50 größten Handelsunternehmen in Europa um. Damit beherrschen sie rund zwei Drittel des gesamten Marktes. Die Top Ten unter ihnen kommen sämtlich aus Deutschland und Frankreich. Der unangefochtene Spitzenreiter ist die deutsche Metro-Gruppe.